Leseprobe

I 76 Neue nationale Bilderkämpfe halben Million Exemplaren. Die deutsche Seite verteilte sie in ebenso großen Mengen und setzte sogar Flugzeuge zu deren Verbreitung ein. Dieses Vorgehen hatte zur Folge, dass das Gebiet der Volksabstimmung mit großen Mengen an gedrucktem Agitationsmaterial überschwemmt wurde. Jahre später beschrieb man es so: »die Straße und der Platz färbten sich gelb von den dort soeben verstreuten [...] deutschen Flugblättern«.9 Sowohl die polnischen als auch die deutschen Flugblätter zur Volksabstimmung gingen nicht davon aus, dass die Empfänger:innen ihnen kritisch gegenübertreten würden. Sie sprachen sie folglich sehr direkt an. Ihr Ziel war es, die Leser:innen durch die Angst vor den unvorstellbaren Folgen einer falschen Wahlentscheidung zu überzeugen, sich entweder auf die Seite der Republik Polen oder des Deutschen Reiches zu stellen.10 Betrachtet man alle Formen der Volksabstimmungspropaganda, so sind in den Flugblättern Häme, Beleidigungen und Beschimpfungen besonders auffällig. In Flugblättern und Plakaten wurde nur ein eingekürzter Text verwendet. Daher waren oft jene Illustrationen wichtig, welche die Eigenschaften des Gegners in einem schlechten Licht zeigten. Und es waren vor allem diese Illustrationen, die dazu führten, dass sich unter den Oberschlesier:innen negative Stereotype über Polen und Deutsche verbreiteten und sich die nationalistischen Gefühle verstärkten. Die deutsche Seite stellte die polnische Bevölkerung als Bewohner:innen eines »Saisonstaates« dar, der wirtschaftlich schwach und in jeder Hinsicht rückständig sei. Seine Strukturen seien ein einziges großes Mysterium. Dem stellte sie ein stabiles Land gegenüber, das Arbeitsplätze, angemessene Löhne und Sozialleistungen garantiere (Abb. 1 und 2). Abb. 1 und 2 Die Illustrationen der Flugblätter und Postkarten sollten die Feindseligkeiten in der Bevölkerung gegenüber der Gegenseite schüren – Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber. Mikołów: K. Miarka, o. J. [etwa 1920–1921]; Deutschland hat Oberschlesien zum blühenden Wohlstand emporgeführt. Polen will Oberschlesien ins trostlose Elend zurückreißen. O. O.: o. Verl., o. J. [etwa 1920/21].

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