Leseprobe

Flugblätter und Plakate als Mittel der Agitation in der oberschlesischen Volksabstimmungskampagne 77 I Die polnische Seite hingegen zeichnete die Deutschen als Unterdrücker, oft in preußischen Uniformen. Ihnen warfen sie vor, den Krieg verursacht und die polnische Bevölkerung unterjocht zu haben. Dabei wurde auch die Frage der von Deutschland ausgehandelten Reparationen diskutiert. Und es wurde angedeutet, dass die Verschuldung des Reiches zunähme, da die Rückzahlung sich über Jahre hinzöge und insbesondere die Schlesier:innen, die im deutschen Staat als Bürger zweiter Klasse gälten, unter den Folgen leiden würden. Aushänge spielten bei der Meinungsbildung keine große Rolle mehr. Sie wurden selten in großer Stückzahl erstellt und hatten eher eine informative und ordnungsstiftende Funktion. So liegt beispielsweise ein Plakat vor, das eine Belohnung für diejenigen ankündigt, die über deutschen Wahlmissbrauch berichten. Ein weiteres Plakat kündigt eine Belohnung von einer Million Mark für die Enttarnung polnischer Milizen an. Nur wenige Aushänge hatten tatsächlich Propagandazwecke. Diese Funktionen erfüllten insbesondere Plakate, die neben der Presse das wichtigste Propagandamedium waren.11 Bedingt war das vor allem durch die Besonderheiten des Mediums, das wenig Text sowie leicht verständliche Symbolik und Zeichnungen enthält, von den Betrachtenden recht schnell gelesen werden kann und auf ihre Überzeugungen eingeht.12 Die Plakate, die vor der Volksabstimmung erstellt wurden, liefern eine Illustration der wichtigsten Propagandaslogans, die manchmal bereits aus den Druckschriften bekannt waren. Die meisten der Slogans wurden zudem in Form von Postkarten massenhaft verteilt. Beide Seiten versuchten, gegnerische Plakate mit ihren eigenen zu überdecken – zum Beispiel in Schaufenstern. Oft kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhänger:innen beider Gruppen, die diese abzunehmen versuchten.13 Auch die kleinen Aufkleber, die in den letzten Wochen vor der Volksabstimmung verteilt wurden, spielten mit ihrer vereinfachten, symbolischen Ikonografie eine wichtige Rolle. »Der Aufkleberkrieg war ein winziger Bestandteil der Propaganda, eine Art Nadelstich für den Feind, der ihn störte, ihm Unbehagen bereitete und ihm zeigte, dass ich überall bin – ich Dein Feind – und unermüdlich in Aktion«,14 schrieb Kazimierz Sosnowski in seinen Memoiren über die Zeit der Volksabstimmung. Bei den Aufklebern handelte es sich in der Regel um eine Kombination aus Text und Zeichnung. Es existieren aber auch einige, auf denen nur Text in Form agitatorischer Slogans abgedruckt ist. Die grafische Aufmachung der meisten Aufkleber zeigt, dass sie gut durchdacht und sorgfältig vorbereitet waren. Postkarten ergänzten das ikonografische Material, das während der oberschlesischen Volksabstimmung verwendet wurde. Ihre Beliebtheit resultierte aus ihrem ansprechenden Erscheinungsbild. Sie wurden sowohl in schwarz-weißer als auch in farbiger Ausführung herausgegeben und verwenden Motive, die oft zuvor in oberschlesischen Zeitschriften abgedruckt worden waren. Auf den Postkarten wurden zudem Muster wiederverwendet, die bereits für den Plakatdruck genutzt worden waren. Auf diese Weise entstand eine Art Miniaturplakat (Abb. 3). Damit verbunden war eine spezifische Postkartenkomposition, die je nach Motiv eine horizontale oder vertikale Ausrichtung erhielt. Die Themen bezieAbb. 3 Ein häufiges Thema waren die Folgen der Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg – O gizdy! [Ihr deutschen Hallunken!] Mikołów: K. Miarka, o. J. [etwa 1920/21].

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