Leseprobe

Unsere Erkundungen der deutsch-polnisch-jüdischen Beziehungsbilder führten uns vom Dreikaisereck, wo sich bis in den Ersten Weltkrieg hinein das Deutsche Kaiserreich, das Habsburger Imperium und das Russländische Reich trafen, nach Galizien, wo polnische Identität im ausgehenden 19. Jahrhundert in Auseinandersetzung mit den Judenheiten ausgehandelt wurde, bis zurück nach Oberschlesien, wo in den Jahren 1919 bis 1921 eine intensive Auseinandersetzung um die potentielle Zugehörigkeit der Region zu Deutschland oder zu Polen, das im Zuge des Zerfalls der Imperien wiedererstand, stattfand. Wir, ein interdisziplinäres Team mit kunsthistorischen, kultur- und politikgeschichtlichen Hintergründen, wandelten dabei auf den Spuren von populären, aber oft ephemeren Bildformaten. Vor allem die Bildpostkarte dominierte in den ersten zwei Jahrzehnten unseres Untersuchungszeitraums die Szenerie. Hunderte Motive des Grenzraums am Dreikaisereck und der Judenheiten in Galizien wurden zeitgenössisch produziert; tausendfach wurden sie gekauft und entweder verschickt oder gesammelt. Die Bilder bedeuteten den Menschen, seien es Durchreisende oder dort Lebende, etwas, sie schlossen an Einstellungen an und prägten diese mit heraus. Nach dem Ersten Weltkrieg, der der Bildpostkarte einen weiteren Höhepunkt in der Verwendung bescherte, da Millionen Soldaten, die oftmals zum ersten Mal andere Regionen und Länder sahen, massenhaft auf das Bild-Text-Medium zurückgriffen, endete ihr »goldenes Zeitalter«. Visualität spielte in der politischen Kommunikation aber weiterhin eine wichtige Rolle. Bildpostkarten, Flugblätter und Plakate kamen etwa in den deutsch-polnischen Auseinandersetzungen um Oberschlesien zum Einsatz, aber besondere Durchschlagskraft entwickelten in dieser Phase zwei Satiremagazine, die auf die Kraft der Karikatur setzten. Die Bebilderung der Presse hatte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert stetig zugenommen. Auf unseren Streifzügen durch die historischen Bildwelten haben wir viel erfahren. Aus dem umfangreichen Untersuchungsmaterial hat sich am deutlichsten eine Erzählung der Grenzen herauskristallisiert – auf zwei Ebenen. Grenzen und Grenzüberschreitungen als Faszinosum Die Grenze zwischen dem Deutschen Kaiserreich, dem Habsburger Imperium und dem Russländischen Reich war ein sehr populäres Postkartenmotiv. In zahlreichen Varianten existierten Ansichten der konkreten physischen Grenze, also vom Schlagbaum, vom Häuschen der Grenzbeamten und von den Grenzbeamten selbst, in ihren unterschiedlichen Uniformen. Sie war zeitgenössisch auch in anderen Regionen ein beliebtes Motiv, so standen Staatsgrenzen für die Erfahrung von Liminalität und für Exotik. Schließlich war das ausgehende 19. Jahrhundert kein Jahrhundert der massenhaften fernräumlichen Mobilität im privaten und/oder beruflichen Kontext. Gesteigert wurde dies in den Kompositionen, in denen die Spannung der Grenze mit Sex & Crime-Elementen angereichert wurde. Themen des Schmuggels wurden offensiv aufgegriffen, Angebote der Prostitution mehr als angedeutet. Darüber hinaus gab es ein Set an Motiven, die eine Erzählung unterschiedlicher kultureller Wertigkeiten der einzelnen Gebiete jenseits der Grenzen vermittelten. Insbesondere der postkartalische deutsche Blick auf jene Landstriche, die jenseits der Grenze mit dem Habsburger Imperium und dem Russländischen Reich lagen, betonte Unterschiede in der Urbanisierung und in der Gestaltung von Raum. Auf der einen Seite der Grenze, der deutschen, wurden Stadtarchitekturen betont, damit mithin die (urbane) Entwicklung, auf der anderen Seite, der polnischen Seite in beiden Imperien, die niedrige Bebauung, die Weite des Raums, manchmal der Schmutz, inszeniert. Postkarten aus dem Dreikaisereck zeigen die deutsche Gesellschaft in Myslowitz/Mysłowice als eine, die aus eleganten Damen und Herren bestand, die die örtliche Promenade entlangschlenderten oder sich in den Restaurantgärten unterhielten. Die preußische oder deutsche Bilderzählung dominierte das Postkartenschaffen, was auch an der Symbolik abzulesen ist: Bei den Darstellungen der drei Kaiser war der preußische König häufig im Vordergrund; bei den Landschaftsabbildungen und/ oder zeichnerischen Ornamenten wurde der Bismarckturm oft in Szene gesetzt. Der Fluss Przemsa/Przemsza, der sich in zwei Flussarme, die weiße und die schwarze Przemsa teilt, ist zusammen mit der dazugehörigen Landschaft eines der häufigsten Motive auf Postkarten aus Myslowitz. Hier werden visuell auch die Beziehungen Am Schluss eines Streifzugs: Fazit

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