Leseprobe

16 Im Laufe seiner mehr als drei Jahrzehnte umspannenden politischen Karriere sind Helmut Schmidt immer wieder charakteristische wie zuspitzende Etikettierungen zugeschrieben worden. Angesichts seiner beißenden und rhetorisch ausgefeilten Polemik gegen die Adenauer-Regierung während der Bundestagsdebatte über die Atombewaffnung der Bundeswehr (1958) brachten die Medien für ihn den Beinamen „SchmidtSchnauze“ auf. Das entschlossene Krisenhandeln, mit dem Schmidt als Polizeisenator von Hamburg der Sturmflutkatastrophe 1962 begegnete, führte zu dem Image, er sei ein „Macher“, der auch in enormen Drucksituationen den Überblick behalte und pragmatisch die erforderlichen Schritte zur Überwindung des Ausnahmezustands einleite. Wo solche verdichtenden Zuschreibungen ihren Ursprung haben, wer sie erstmals formulierte und publik machte, lässt sich kaum mehr lückenlos nachvollziehen. Dies gilt auch für das Etikett „Weltökonom“, das am Beginn von Schmidts Bundeskanzlerzeit in der medialen Berichterstattung auftauchte. Allerdings liegt ein Zusammenhang mit dem ersten „Weltwirtschaftsgipfel“ („G6“) im Jahr 1975 in Rambouillet und der wahlstrategischen Herausstellung von Schmidts ökonomischer Kompetenz vor der Bundestagswahl 1976 nahe. Dies unterstreicht ein Papier zur Kommunikationsstrategie, das zu jener Zeit in der SPD-Zentrale entstand. Unter der Überschrift „Unsere Personen und ihre Images“ wurde betont, dass Helmut Schmidt als „Manager, Fachmann, Weltwirtschaftskanzler“ dargestellt werden sollte, und darüber hinaus als der „moderne, kompetente, internationale Staatsmann“, der überzeugend für das im Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl 1976 konturierte „Modell Deutschland“ stehe. Während andere Kabinettsmitglieder den Wahlstrategen als zu farblos und duckmäuserisch erschienen, riefen sie Schmidt und den Parteivorsitzenden Willy Brandt zu „Zentralfiguren“ ihrer Wahlkampagne aus, da sie gemeinsam ein Wählerpotenzial abzudecken versprachen, das sie alleine nicht erreichen könnten. Fraglos unterschieden sich beide Männer beträchtlich aufgrund ihrer Herkunft, Mentalität und ihres politischen Stils. Gleichwohl oder gerade deshalb seien deren Images nicht zu polarisieren, sondern zu addieren. Gegen Ende des Wahlkampfs sollte die Kampagne dann voll auf den Kanzler Schmidt zulaufen. Bei der Analyse von Etikettierungen wie „SchmidtSchnauze“, „Macher“ oder „Weltökonom“ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: das Selbstbild und die Inszenierungsbereitschaft des so bezeichneten Politikers auf der einen und das Ausmaß der Fremdstilisierung und Ikonisierung auf der anderen Seite. Das Image von Helmut Schmidt entstand in einem wechselseitigen Prozess, wobei verschiedene Faktoren ineinandergriffen, verstärkend wirkten und sich überlagerten. Einerseits verstand Schmidt es bereits als junger Politiker, sich in Szene zu setzen. Bereitwillig stand er für Homestorys zur Verfügung, ließ in den Bundestagskampagnen 1953 und 1957 professionelle Imagekurzfilme über sich produzieren, genoss die Rededuelle im Parlament, nahm Pressefotografen mit auf Urlaubsreisen und empfing schließlich als Bundeskanzler wiederholt Staatsgäste – wie den französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing und den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew – in seinem Privathaus in Hamburg-Langenhorn, das somit zur politischen Bühne wurde. Auf der anderen Seite versahen die Medien den aufstrebenden Schmidt mit Etiketten, ob sie ihm passten oder nicht. Er galt als fest in Norddeutschland verwurzelter, emotional unterkühlter Hanseat, der für Liberalität und Toleranz eintrat, und als Staatsmann mit Weitblick, der in globalen Zusammenhängen dachte. Teils knüpften diese Zuschreibungen an Schmidts aktiver Image-Arbeit an, teils wurden sie von differenziert beobach-

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