17 tenden Journalisten in die Welt gesetzt, die ihn an seiner konkreten Politik maßen. Dabei ging es gemäß der Eigenlogik der Medien vielfach auch um die Steigerung der Auflagenhöhe beziehungsweise der Zuschauerquote. Gefragt waren griffige Formulierungen und semantische Zuspitzungen mit hohem Wiedererkennungswert. Überdies entstanden seit den 1950er-Jahren zahlreiche Karikaturen und kabarettistische Aneignungen, die ein Gradmesser dafür sind, welche Facette des vielschichtigen Images von Schmidt gerade Konjunktur hatte. Erinnerung Ob jemand zu einer Person der Zeitgeschichte wird, lässt sich weder geradlinig noch mit absoluter Erfolgsgarantie steuern. Entscheidend sind die wahrgenommenen Leistungen im Amt sowie die politischen Zeitläufte und personellen Konkurrenzkonstellationen. Über Schmidts Amtszeit als Bundeskanzler ist mitunter gesagt worden, dass ihr ein großes Thema gefehlt habe: Konrad Adenauer stehe für die Westbindung und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, Willy Brandt habe die Neue Ostpolitik ins Werk gesetzt und Helmut Kohl die Deutsche Einheit ausgehandelt. Diese historische Argumentation verzerrt jedoch die Perspektive. Immerhin sah Schmidt sich als Kanzler mit den Auswirkungen einer Weltwirtschaftskrise konfrontiert, mit einer grassierenden Inflation und rasant steigender Arbeitslosigkeit, für die er in globalen Zusammenhängen nach Lösungsansätzen strebte. Zudem musste er innenpolitisch auf die Bedrohung des Staats durch den Terrorismus der „Roten Armee Fraktion“ reagieren. Darüber hinaus suchte er in der Sicherheitspolitik nach Antworten auf die Blockkonfrontation zwischen der NATO als transatlantisches Verteidigungsbündnis und dem von der UdSSR dominierten Warschauer Pakt. Auch wenn man den eigenen Platz in der Geschichte nicht selbst definieren kann, so lassen sich doch Vorkehrungen dafür treffen. Das Privatarchiv, das Helmut Schmidt bereits Mitte der 1940er-Jahre anlegte und das heute seinen Namen trägt, diente ihm einerseits als Wissensspeicher und Referenzüberlieferung für sein politisches Wirken und publizistisches Schaffen. Andererseits lassen sich daraus auch Schmidts Anspruch auf historische Bedeutung und ein gewisses Geltungsbewusstsein ablesen: Das persönliche Lebenswerk soll für die Nachwelt erhalten bleiben. In dieselbe Richtung weisen die Gründung der privaten Helmut und Loki Schmidt-Stiftung im Jahr 1992, anlässlich der Goldenen Hochzeit des Ehepaars, und 2017 – zwei Jahre nach Schmidts Tod – die Errichtung der Bundeskanzler-HelmutSchmidt-Stiftung (BKHS) als öffentlich-rechtliche Einrichtung. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Stiftungsgründungen erfolgten nicht als Ausdruck eines übergroßen Egos, sondern im Interesse des Gemeinwohls und demokratischen Zusammenhalts, wie nicht zuletzt anhand des Programms und der Arbeit der BKHS deutlich wird. Sie versteht sich nicht als Denkmalpflegeverein für Helmut Schmidt, sondern erinnert an dessen politisches Handeln und ordnet es kritisch in die westdeutsche Zeitgeschichte mit ihren deutsch-deutschen und internationalen Verflechtungen ein. Überdies trägt die BKHS zu einem tieferen Verständnis der europäischen und globalen Herausforderungen der Gegenwart bei, insbesondere auf den Feldern der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, und erarbeitet tragfähige, zukunftsorientierte Lösungen. Dabei unterstreicht sie den hohen Stellenwert von Demokratie, Grund- und Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Gerechtigkeit, die gegenwärtig vor allem gegen Angriffe aus dem rechtsextremen Spektrum geschützt werden müssen. Hier als weitere Formen der Erinnerung sämtliche Schulen, Plätze, Straßen und Brücken sowie Lehrstühle und Fellowships aufzuzählen, die Helmut Schmidts Namen tragen, würde den Bogen überspannen und ließe sich vermutlich kaum erschöpfend leisten. Zu den markantesten Beispielen für solche Reminiszenzen, die ihre Gravität mithilfe von Schmidt gewissermaßen aus externer Quelle beziehen respektive das eigene Tun mit zusätzlicher Bedeutung aufladen, zählen sicherlich der Helmut Schmidt Airport in Hamburg und das HelmutSchmidt-Haus der Wochenzeitung DIE ZEIT, wo der ehemalige Bundeskanzler vom Mai 1983 an für mehr als 30 Jahre als Mitherausgeber wirkte und es verstand, sein reichweitenstarkes Blatt als publizistische Plattform zu nutzen. Dabei handelt es sich übrigens um eine Zeitspanne, die bisher niemand anderem von Konrad Adenauer bis Angela Merkel vergönnt war, um politisch und medial nach dem Ausscheiden aus dem Bundeskanzleramt zu wirken. Zwar kokettierte Schmidt immer wieder damit, seit dem 1. Oktober 1982 „außer Dienst“ zu sein, wie auch das zum Bestseller gewordene Buch hieß, das er anlässlich seines 90. Geburtstag publizierte. Aber sein Engagement als „Elder Statesman“, etwa im InterAction Council, und sein bis ins hohe Alter nahezu ungebrochenes publizistisches Engagement sprechen eine andere Sprache. Wer die Ausstellung Schmidt! Demokratie leben im Helmut-Schmidt-Forum besucht, stößt auf dem Weg dorthin auf ein Werbeplakat der BKHS, auf dem Loriots Schmidt- Karikatur aus den 1970er-Jahren zu sehen ist. Auch die als Teil der Kabarettsendung Mitternachtsspitzen vom Westdeutschen Rundfunk von 2007 bis 2010 ausgestrahlte Persiflage Loki und Smoky, die sich großer Beliebtheit erfreute, gehört zur vielfältigen Erinnerung an den fünften deutschen Bundeskanzler, der für seine charakteristische Elblotsenmütze bekannt war.
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