Leseprobe

22 38 Diese Erwähnung lässt einen Hinweis darauf zu, dass es sich bei der angesprochenen Technik entweder um eine Leuchtstoff- oder Gasentladungslampe handeln musste, möglicherweise in Kombination mit einem Verfahren zur Vervielfältigung von Filmen. Die Bildungsanstalt hätte unter Einbringung ihrer Immobilien mit der »N.G.G.« eine neue Gesellschaft gebildet – ein hoher Preis für einen fragwürdigen wirtschaftlichen Erfolg. 39 Da das Unternehmen weder in der Überlieferung der Bildungsanstalt auftaucht noch in den Beständen der sächsischen Amtsgerichte, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine den zeitlichen Umständen entsprechende Risikoinvestition mit geringen Reserven handelte bzw. die Unternehmung nicht lange genug bestand, um erfolgreich zu sein. 40 Vgl. StA Dresden 9.1.36/6, Bl. 89–90. Zur Glühlampenfabrikation hieß es in einer Denkschrift der Bildungsanstalt vom März 1928: »Die Besitzer der Bildungsanstalt haben zu diesem Zwecke verschiedene Möglichkeiten ins Auge gefasst und sind schließlich auf Grund der Erfahrungen, die sie gemacht haben, von dem Gedanken abgekommen, die Bildungsanstalt Hellerau weiterhin erzieherischen oder künstlerischen Zwecken dienstbar zu machen, vielmehr wollen sie die wertvollen Baulichkeiten nunmehr industriell verwerten, wobei von der besonderen Art des Gebäudes auszugehen war. Ein glücklicher Zufall hat es gefügt, dass die Bildungsanstalt Hellerau in der ›Neue Glühlampenfabrik m.b.H.[‹] in Dresden ein Unternehmen gefunden hat, dessen Absichten auf Errichtung einer grossen Glühlampenfabrik in Verbindung mit einem Filmaufnahmeatelier mit Glühlampenbetrieb in denkbar glücklichster Weise entgegenkommt.« Dass der Verfasser des Schreibens gleich zu Beginn von einem Kurswechsel der Leitung der Bildungsanstalt spricht, legt nahe, dass bereits erste, wenn auch vielleicht unverbindliche, Gespräche stattgefunden hatten, in welchen es auch um Interna der Bildungsanstalt ging. Andernfalls würde das bedeuten, dass deren Leitung den Kurswechsel weg von der Betätigung auf kulturellem Feld hin zu einem Engagement im produzierenden Gewerbe bereits mehr oder weniger öffentlich kommuniziert haben musste. In beiden Fällen verdeutlicht dies jedoch die schwierigen finanziellen Verhältnisse der Bildungsanstalt kurz nach dem Ersten Weltkrieg. In Bezug auf die Glühlampenfabrikation warb die »N. G. G.« damit, in Lizenz für die Berliner Firma Osram Lampen zu produzieren, in Stückzahlen von bis zu 15 000 pro Jahr, und so den Bereich der Filmherstellung revolutionieren zu wollen. Zum Einsatz kommen sollte neueste Technik bei der Herstellung einer sogenanntenEinkristallstarklichtlampe bzw. Einkristallstablampe, als Alternative zu herkömmlichen und leistungsschwächeren Quecksilberlampen.38 Geworben wurde mit prominenter Unterstützung durch niemand geringeren als Karl Freund, einen der einflussreichsten Kameramänner des Deutschen Films der Zwischenkriegszeit, dessen Empfehlung vor dem Hintergrund seiner beruflichen Erfahrungen aus den USA die Auswahl Helleraus zu verdanken gewesen sei. Möglicherweise war er ebenfalls rechtlich in die »N.G.G.« involviert. Die damit zusammenhängende Filmherstellung mit Filmatelier, Kostümherstellung usw. sollte, so bewarb es der Autor des Schreibens, sich in einer gesteigerten Bautätigkeit, und damit in einer Bedeutungsvermehrung für die Gartenstadt niederschlagen. Das Unternehmen warb zwar damit, einen Beitrag nicht nur für die Etablierung des Wirtschaftsstandortes Hellerau leisten zu wollen. Fern vom Markt, ohne ausreichende Liquidität und mit einem Projektpartner versehen, der auf einem Gebiet wie der Film-, chemischen und Glasindustrie keinerlei Kompetenz vorweisen konnte, musste das Ansinnen des Unternehmens aber eine fixe Idee bleiben.39 Es ist fraglich, ob alle Gesellschafter den Kurswechsel der Anstaltsleitung mittrugen. Klar ist: die baulichen Investitionen in dem für eine industrielle Produktion völlig ungeeigneten Gebäude hätten das mit 80 000 RM viel zu knappe Budget der fusionierten Gesellschaft bei weitem überschritten. Die Eingriffe in das Gebäude und die örtlichen Strukturen wären ähnlich gravierend gewesen wie später für die Einrichtung einer Polizeischule. Knapp zehn Jahre später schien jenes Kapitel jedoch bereits vergessen. Die Bildungsanstalt musste, um ihre Verluste gering zu halten, von Experimenten Abstand nehmen und sich dauerhafteren Beteiligungen zuwenden: Das Festspielhaus sollte 1928 an die Sächsische Landeswohlfahrtsstiftung bzw. das Sächsische Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt verpachtet werden.40 Die Wohlfahrtsschule wurde am 10. April 1929 in Hellerau als Frauen-Fortbildungsanstalt in der Trägerschaft des sächsischen Wohlfahrtsministeriums eröffnet. Als Ergänzung zu den bestehenden Schulen in Dresden und Leipzig konnte diese unter der Leitung von Else Ulich-Beil, die Lotte Schurig nachfolgte, in den Räumen der Bildungsanstalt eröffnet werden, der eine Vermietung von Räumen nicht ungelegen kam. Die Einrichtung der Hellerauer Schule entstammte dem Anliegen des Wohlfahrtsministeriums, die Ausbildung geschulten Personals für die Wohlfahrtspflege weiter zu professionalisieren. Das Konzept verstand sich als ein zuallererst praktisches, in welchem junge Frauen ihre theoretischen Kenntnisse in zweijährigen Ausbildungsgängen und Fortbildungskursen vertiefen konnten. Mit Ulich-Beil, die in der Tradition der Frauen(bildungs)vereine stand und sich auch als Landtags-

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