Leseprobe

14 Vogtländern Märkte eröffnete. Befördert wurde dies durch den vergleichsweise günstigen Import von Rohbaumwolle aus Kleinasien, d.h. aus dem Osmanischen Reich, über den Balkan, aber auch durch die niedrigen Produktionskosten im Vogtland. Das Kurfürstentum Sachsen kann im ausgehenden 18. Jahrhundert keinesfalls als ein homogener Wirtschaftsraum gesehen werden. Damit unterscheidet es sich nicht von anderen Territorien neuzeitlicher Herrschaft. Vielmehr finden sich in dem Betrachtungszeitraum Gebiete mit protoindustriellem Gewerbe vor allem im Erzgebirge, in der Oberlausitz, im Chemnitzer Raum und im Vogtland. Dominant war hier wie da die Textilherstellung – und zwar im Besonderen die Garn verarbeitende Wirtschaft. Die »klassischen Sektoren« der industriellen Revolution – Bergbau, Eisen- und Stahlproduktion, später der Eisenbahnbau – blieben in Sachsen gegenüber der Textilherstellung stets nachrangig. Das Erzgebirge durchlebte seit dem Niedergang des Silbererzbergbaus im 16. Jahrhundert einen Transformationsprozess hin zu einer Gewerberegion für Waren, die zuvor teils importiert worden waren: hochwertige Textilien, Haushalts- und andere Gebrauchsgegenstände oder Spielwaren. Die Produktion vollzog sich dabei in aller Regel dezentral, im häuslichen Rahmen und außerhalb städtischer Zunftordnungen. Diese Strukturen dehnten sich dann im 17. und 18. Jahrhundert vom Erzgebirge aus ins Erzgebirgsvorland, d.h. in den Zwickauer und Chemnitzer Raum, sowie ins Vogtland und führten allerorts auch zu einer Konfrontation mit den zwischen Plauen und Zittau etablierten Zunftstrukturen. Darüber hinaus existierten, wie im Erzgebirge bereits seit dem Mittelalter, auch im zum Thüringer Kreis gehörigen Amt Sangerhausen Unternehmen des Kupferschieferabbaus und der Kupferverhüttung. Durch die territorialen Verluste infolge des Wiener Kongresses blieb Sachsen indes nach 1815 die Weiterentwicklung dieses Sangerhäuser Reviers verwehrt. Die Wirtschaftsstrukturen auf dem Gebiet der im Kurfürstentum bzw. Königreich Sachsen dominierenden Textilindustrie waren selbst in diesem überschaubaren Wirtschaftsraum recht heterogen. Gemeinsam war den Regionen zwischen dem Zittauer Gebirge und dem Vogtland allenfalls die Struktur respektive die Organisation der Arbeitsprozesse. Diese war üblicherweise dezentral und kleinbetrieblich, also eher im ländlichen als im städtischen Raum angesiedelt und je Unternehmen mit einer recht überschaubaren Zahl von Arbeitern ausgestattet.21 In der Oberlausitz dominierte nach wie vor das Leineweberhandwerk. Im 18. Jahrhundert standen die in den Städten ansässigen Oberlausitzer Kaufmannssozietäten in Konkurrenz zu »Dorfgrossisten«22 im ländlichen Raum. Ausgangsmaterial für die Leineweberei ist der Flachs, keine Baumwolle! Dieser wurde lange Zeit aus Schlesien und Böhmen importiert, später aber auch im Erzgebirge angebaut. Im Erzgebirge entwickelte sich nach dem Ende des Erzbergbaus die in Heimarbeit ausgeführte Spitzen-, Posamenten- und Strumpfherstellung, zunächst aus Flachs oder aus italienischer Seide, später aus Baum2 C. C. Böhme nach William Hogarth Die Zeugleineweberbursche [sic!] an ihren Stühlen Kat. III.15

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