15 wolle. Dabei waren die Klöpplerinnen an Verleger gebunden, insbesondere in der Verarbeitung von Seide, die in der Regel von Verlegern importiert wurde. Die Strumpfwirker verkauften ihre Produkte hingegen selbstständig an Händler, da sich für sie die Beschaffung von Rohmaterial als unproblematisch erwies. Im Vogtland dominierte die Fertigung von Musselinstoffen.23 Von Plauen aus weitete sich das tradierte Verlagswesen auf das gesamte Umland aus. Die Verleger importierten Baumwolle, ließen sie von Arbeitskräften verspinnen und reichten das Garn an Plauener Weber zur Musselinherstellung weiter. Zum Ende des 18. Jahrhunderts kam es in der Region zu einem zahlenmäßigen Anwachsen der Verleger, was – etwa im Rahmen der Leipziger Messe – mit einem internen Konkurrenzkampf um Kunden verbunden war.24 Neben dem Erzgebirge, dem Vogtland und der Oberlausitz bildeten Stadt und Region Chemnitz ein weiteres regionales Zentrum der sächsischen Textilwirtschaft in der Zeit vor Beginn der industriellen Revolution, zunächst mit einem Schwerpunkt auf der Leineweberei. Grundlage war hier das 1357 vom Markgrafen Friedrich III. von Meißen erteilte Bleichprivileg, das den Chemnitzern in der Markgrafschaft eine Monopolstellung in diesem Gewerbezweig verschaffte. Chemnitz konnte sich in der Folge zu einem Zentrum des sächsischen Baumwollhandels entwickeln, das den Webern den Zugang zu Rohstoffen erheblich vereinfachte. Das Verlagswesen konnte sich hier vor diesem Hintergrund hingegen nicht etablieren; die Webermeister verkauften ihre Produkte eigenständig weiter. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich zudem sowohl im mittleren Erzgebirge als auch in Chemnitz wie in den im Chemnitzer Raum gelegenen Städten Burgstädt, Limbach, Oberlungwitz oder Penig u.a. das Strumpfwirkergewerbe ausgebreitet, das zunächst mit Seide, rasch aber auch mit Bauwollgarn arbeitete.25 In den hier vorgestellten Regionen waren seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Voraussetzungen für einen »Modernisierungsschub« im Sinne einer maschinengestützten Fertigung in Fabriken gegeben, insbesondere für den Bereich der Baumwollspinnerei. Tatsächlich gab es bereits während der Herrschaft Napoleon Bonapartes und der Kontinentalsperre sowie in der Folge in der zweiten Hälfte der 1810er Jahre Ansätze für eine industrielle Fertigung von Textilwaren, die jedoch vorerst, nach dem Ende der Ära Napoleon, an der effizienteren und kostengünstigeren britischen Konkurrenz scheiterte.26 Historiker definieren das aus dem lateinischen Wort fabricare [anfertigen] abgeleitete Substantiv Fabrik als »eine Produktionsstätte im industriellen Maßstab, die auch unter der Bezeichnung Industriebetrieb eine größere Anzahl unterschiedlicher Arbeitsvorgänge vereinigt und dabei wesentlich mit Hilfe von Maschinen, Produktionsmitarbeitern und einer Betriebsführung Erzeugnisse herstellt. Den Besitzer oder Betreiber einer Fabrik nannte man früher ›Fabrikant‹, heute meist Unternehmer oder in der Großindustrie auch Industrieller. Der Gebäudekomplex, in dem produziert wird, ist eine ›Fabrik‹.«27 Rainer Karlsch und Michael Schäfer vertreten in ihrer »Wirtschaftsgeschichte Sachsens« noch für das ausgehende 19. Jahrhundert zu Recht die Sicht, dass »die sächsische Industrielandschaft von arbeitsintensiven, teilweise hochspezialisierten Klein- und Mittelbetrieben« mit obendrein häufig recht dünner Eigenkapitaldecke bestimmt wurde.28 Natürlich hatten auch technische Innovationen einen Einfluss auf den Gang der frühen Industrialisierung im sächsischen Kurfürstentum. Diese kamen, wie jedermann weiß, aus Großbritannien und verbinden sich mit Namen wie John Kay (1704–1780), James Hargreaves (1721–1778), Richard Arkwright (1732–1792), Samuel Crompton (1753–1827) oder Edmund Cartwright (1743– 1823). Deren Erfindungen revolutionierten die englische Garn- bzw. Gewebefertigung seit den 1730er Jahren. Die Mechanisierung, d.h. der Einsatz vom Menschen 3 Feinbohrmaschine Chemnitz (?), Ende 18.Jahrhundert Kat. V.6
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