Leseprobe

109 Unter den zahlreichen Denkmalen der sächsischen Industriegeschichte spielen die Zeugnisse der Textilproduktion eine herausragende Rolle. Schon früh weckten Einzelobjekte und Baugruppen das Interesse nicht nur von Wirtschafts- und Technikhistorikern, sondern auch von Kunstwissenschaftlern und Denkmalpflegern.1 Im Mittelpunkt standen vor allem die Spinnmühlen des Erzgebirges.2 Demgegenüber fand die unmittelbar vorangehende Generation von Fabrikbauten bislang nur wenig Aufmerksamkeit. Die aufwendige Sanierung und Neueröffnung des »Weisbachschen Hauses« in Plauen als »Fabrik der Fäden« lenkte im Herbst 2023 die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit wieder auf die Kattundruckereien oder -manufakturen, die seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts bis zum allmählichen Niedergang dieses Gewerbezweigs um 1850 das Erscheinungsbild zahlreicher sächsischer Klein- und Mittelstädte prägten.3 Die folgende Studie nimmt die Bauten der Kattunverarbeitung als »erste große fabrikartige Etablissements«4 in den Blick, beschränkt sich jedoch, dem zeitlichen Rahmen des vorliegenden Bandes entsprechend, auf exemplarische Beispiele aus dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Produktionstechnische Grundlagen Für das Kurfürstentum Sachsen waren Herstellung, Veredelung und Vertrieb von farbig bedrucktem Kattun seit dem frühen 18. Jahrhundert einer der wichtigsten wirtschaftlichen Faktoren.5 Einzelne Regionen, u. a. das Vogtland sowie die Städte Chemnitz und Großenhain mit ihrem Hinterland entwickelten sich dabei zu Zentren dieses Gewerbezweigs. Nachdem um 1710 erste Experimente mit neuartigen Druckverfahren in Frankenberg stattgefunden haben sollen, kam es 1755 in Plauen zur Gründung der ersten »Fabrique«. Dieser zeitgenössische Begriff umreißt die Konzentration von Personal und technischer Ausstattung in speziell zu diesem Zweck eingerichteten »Etablissements«, komplexen baulichen Anlagen, in denen Güter für die unterschiedlichsten Bedürfnisse produziert wurden. Dies geschah im hier betrachteten Zeitraum überwiegend in Handarbeit, so wie es schon in den Jahrhunderten zuvor üblich war, nur mit dem Unterschied, dass der Arbeiter seine Selbstständigkeit aufgegeben und sich in die Abhängigkeit vom Lohnherrn begeben hatte. Mechanisierte Antriebskräfte auf der Basis von Wasser- oder Windkraft waren zwar bekannt, spielten jedoch in der Textilbranche noch keine explizite Rolle. Anlage und bauliche Struktur einer Kattundruckerei wurden durch den Verarbeitungsprozess bestimmt, der sich in mehreren Abteilungen wie Bleicherei, Druckerei, Formenstecherei sowie letztlich dem Vertrieb vollzog.6 Um einen rationellen Ablauf zu gewährleisten, war eine stringente Organisation unabdingbar. Sie spiegelte sich sowohl in der Lage der Fabrik als auch in deren Aufbau wider. Voraussetzung war die Nähe eines Gewässers »von Flut und gehöriger Tiefe«, in dem die Rohware gewaschen und gespült wurde, um sie anschließend auf dem Bleichplan auslegen zu können. Im Anschluss erfolgte das Glätten mithilfe einer Mangel aus zwei starken Rundhölzern, die gelegentlich schon mit mechanisiertem Antrieb auf der Basis von Wasserkraft oder mit Göpelwerken ausgestattet war. Zum Kern einer Kattunfabrik zählten die Farbenküche sowie die angegliederte Färberei: Hier produzierte der »Couleurist« auf der Grundlage gut gehüteter Rezepturen die benötigten Farben. Die Stoffbahnen wurden in große Kessel getaucht und erhielten damit die gewünschte Kolorierung. Zum Abtrocknen gelangten sie anschließend in einen hölzernen Trockenturm, alternativ konnte dies auch auf den Dachböden oder mithilfe spezieller Vorrichtungen im Traufbereich der Produktionsgebäude geschehen.7 Neben dem Färben bildete das Bedrucken einen weiteren zentralen Arbeitsgang: Das Druckhaus mit mehreren gut belichteten Sälen war der Arbeitsplatz des Druckers sowie der assistierenden Streichjungen und Schildermädchen. Auf großen Tischen wurden die ausgebreiteten Stoffbahnen mithilfe hölzerner, später auch metallener Modeln mit dem vorgegebenen Muster versehen und anschließend individuell bemalt. Nach 1820 setzten Bestrebungen zur Mechanisierung des Druckverfahrens mit dem Walzendruck ein. Für die Herstellung und Instandhaltung der notwendigen Arbeitsgeräte mussten darüber hinaus Werkstätten wie Tischlerei und Formenschneiderei (für die Modeln) vorgehalten werden (Abb. 1). Typologie und bauliche Entwicklung der frühen Kattundruckereien In der Regel errichtete man Produktionsgebäude ohne höheren gestalterischen Anspruch, es handelte sich um reine Zweckbauten, die nicht selten zudem in leichter Bauweise – entweder vollständig oder teilweise in Fachwerk oder Holz – ausgeführt waren. Zu beobachten ist dabei, dass man nicht zuletzt aus Gründen des Feuerschutzes bei den zentralen Gebäuden Wert auf eine massive Ausführung der Erdgeschosse und deren wenigstens partielle Einwölbung legte. In ihrer charakteristischen Struktur bilden diese Bauten das Kontinuum 1 Drucker und Streichjunge bei der Arbeit in einer Kattundruckerei, idealisierte Darstellung aus dem späten 19. Jahrhundert

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