111 entwickelte sich beispielsweise ab 1786 die Nikolaivorstadt mit der anschließenden wasserreichen Aue entlang der Annaberger Straße zu einem respektablen frühindustriellen Gewerbepark, in dem sich nicht weniger als sieben Unternehmen ansiedelten (Abb. 2). Beinahe »auf Tuchfühlung« reihten sich im Einzugsbereich von Chemnitzfluss und Kappelbach die umfangreichen Druckereien von Pfaff & Söhne, Becker & Schraps, Hübner & Söhne, Kreisig & Co., Gebr. Webers, Pietzsch & Müller sowie – als früheste Gründung – Pflugbeil & Co. aneinander.8 Problematischer lagen die Dinge in Frankenberg, wo sich die frühen Druckereien zunächst stärker auf das innere Stadtgebiet konzentrierten und vor allem in Form der Wohn- und Kontorhäuser – wie beispielsweise das jüngere Druckhaus von Carl Friedrich Böhme – das Straßenbild prägten. Die hoch aufragenden Trockentürme bildeten mit zunehmender Anzahl zudem eine wesentliche Dominante in der Stadtsilhouette. Mit den genannten Städten verbinden sich gleichzeitig die bedeutendsten Standorte der Kattunverarbeitung im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, wobei der 1755 gegründete Betrieb in Plauen die früheste kontinuierlich betriebene Einrichtung dieser Art in Sachsen gewesen ist.9 Ausgewählte Beispiele früher Kattundruckereien Einer der frühesten nachweisbaren Standorte der Kattunverarbeitung ist Burgstädt. Der örtliche Zeugmacher und -händler Johann Friedrich Wagner betrieb hier seit 1743 die Herstellung von Seidentüchern und führte ab 1754/55 das Bleichen und Bedrucken von Kattun ein, wofür er ein kurfürstliches Privileg auf die Dauer von zehn Jahren erwirkte.10 Der Betrieb war auf zwei Standorte verteilt: zum einen in Mohsdorf am Chemnitzfluss, wo u.a. gebleicht und getrocknet wurde, zum anderen in Burgstädt selbst, wo die übrigen Arbeitsschritte sowie »der Debit und die Direction des Ganzen« angesiedelt waren.11 Das Kontor- und Herrenhaus mit anschließendem Wirtschaftshof ließ sich Wagner zwischen 1761 und 1763 errichten (Abb. 3).12 Es präsentiert sich als stattlicher dreigeschossiger Bau von neun Achsen, wobei die drei mittleren als Risalit zusammengefasst sind und eine besonders üppige Detailbehandlung in Rochlitzer Porphyrtuff aufweisen. Das Erdgeschoss enthält die segmentbogenförmig geschlossene Durchfahrt. In die aufwendig gegliederte Supraporte ließ der Bauherr sein die Konkurrenz herausforderndes Motto integrieren: »Je höher die Gewalt/Je schöner die Gestalt«.Darüber markieren drei korbbogenförmig geschlossene Fenster die Beletage. Die Wandabschnitte oberhalb der Fenster sowie das Tympanon des durch drei männliche Büsten akzentuierten Dreieckgiebels sind ebenfalls mit qualitätvoller Rokokoornamentik reich verziert. Ein schiefergedecktes Mansarddach mit stehenden Gauben bedeckt das Gebäude, der Dachreiter ist eine Zutat von 1850. Der Forschung ist es bislang nicht gelungen, den Architekten dieses bemerkenswerten Bauwerks nachzuweisen. Die seit langem kolportierte Ableitung aus dem fränkischen Barock13 erscheint möglich, aber keineswegs zwingend, da die zeitgenössische sächsische Baukunst eine Fülle an Objekten bereithält, die als Vorbilder infrage kommen. In diesem Zusammenhang ist auf die Palais- und Schlossbauten der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem jene des Landbaumeisters David Schatz (1667–1750) hinzuweisen. Auf die Verankerung der durch Schatz rezipierten Formensprache in der zeitgenössischen Dresdner Architektur im Umfeld von George Bähr und Matthäus Daniel Pöppelmann hat Thomas Trajkovits aufmerksam gemacht.14 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Schloss in Brandis, errichtet zwischen 1724 und 1743 im Auftrag der Familie von Bodenhausen (Abb. 4).15 Von ihm hat der unbekannte Burgstädter Baumeister ganz offensichtlich entscheidende Anregungen erfahren. Johann Friedrich Wagner erwies sich auch nach Fertigstellung seines Burgstädter Firmensitzes weiterhin als geschäftstüchtiger Kaufmann und Bauherr. Diesem Umstand verdankt ein weiteres, in seiner Bedeutung für die frühe Industriearchitektur Sachsens allerdings noch nicht gewürdigtes Objekt seine Existenz.16 In Göritzhain im Chemnitztal kaufte er 1759 das Grundstück der sogenannten Bachmühle mit der Absicht, hier einen weiteren Produktionsstandort zu etablieren. Ob der 1765 3 Burgstädt, Wohn- und Kontorhaus der Kattundruckerei von J. F. Wagner (heute Rathaus) 4 Brandis, Schloss, Gartenfassade
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1