Leseprobe

13 12 / Über das Sichtbare hinaus JOCHEN HEIN & MIGUEL ROTHSCHILD Der deutsche, in Hamburg lebende Maler Jochen Hein und der argentinische, in Berlin tätige Fotograf und Installationskünstler Miguel Rothschild sprechen in ihren Werken über Themen wie Wahrnehmung und Zeit beziehungsweise verhandeln das Verhältnis von Natur und Mensch. Die Natur wird zur bestimmenden Größe. Der Mensch jedoch wird nicht selbst Bildmotiv. Vielmehr vermag er, sich als Betrachter dem Dialog zu stellen. Die menschenleeren Szenerien übersteigen unsere etablierte Vorstellung von Raum und Zeit und eröffnen somit neue Perspektivräume – inhaltlich wie innerbildlich. Wald In seinem großformatigen Gemälde Gras (S. 31) knüpft Jochen Hein indirekt an ein Motiv an, dem Albrecht Dürer bereits 1503 autonome Bildwürde verliehen hat.1 Beide Künstler präsentieren einen vermeintlichen Wirklichkeitsausschnitt, der über die Bildgrenzen hinaus vorstellbar ist. Hein wählt jedoch eine abgesenkte Perspektive, fokussiert das Motiv stärker und zoomt es für den Betrachter ganz nah heran. Das Licht erreicht nicht alle Bereiche in derselben Intensität, sondern akzentuiert besonders die Randpartien. So gerät der Rezipient in ein Vexierspiel – aus gewisser Distanz beeindrucken die Detailgenauigkeit, die spannende Lichtreflexion auf den einzelnen Halmen und der Wechsel von Hell und Dunkel, doch aus unmittelbarer Nähe irritiert im ersten Moment, welche Abstraktionen in Erscheinung treten – im Widerspruch zur Wahrnehmung in der Lebensrealität. Einerseits entzaubert Hein die Illusion, andererseits entwirft er eine neue Bildwirklichkeit. »Diese Oberfläche neu zu schaffen, aufzuladen, die Rätsel einzuschreiben, die uns umgeben – das ist die Essenz meiner Arbeit.«2 1 Vgl. Albrecht Dürer: Das große Rasenstück, 1503, Aquarell und Deckfarben, mit Deckweiß gehöht, 40,8×31,5 cm, Wien, Albertina, Inv.-Nr. 3075. 2 Jochen Hein im Interview mit Peter Bies, 27. 2. 2012.

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