Heins Landschaften, oftmals menschenleere Waldlichtungen (S. 34, 42 und 45), spiegeln auf den ersten Blick romantische Idyllen – nicht die Urnatur, sondern Orte, die in unserer heutigen Umgebung zu finden sind. Hein gestaltet jedoch keine realen Abbilder, sondern erschafft seine eigenen Landschaftsräume mit großem malerischem Gestus: eigene »Sehnsuchtsorte«. Dem Maler gelingt es, diese Empfindung gleichsam zu materialisieren, sie sichtbar und glaubhaft zu machen. Der Betrachter fühlt sich an vermeintlich Vertrautes erinnert und verbindet seine eigene Geschichte mit dem Wahrgenommenen. Nicht ungewöhnlich, wenn man glaubt, an den Orten schon einmal gewesen zu sein. Heins Bildwelten rufen mithin Erinnerungen wach und schenken dem Betrachter eine Illusion. Dies ist der erste Blick. Je näher wir hingegen an den Malträger herantreten, umso mehr wird die Illusion entzaubert und zugleich neu entfacht. Die malerische Qualität und Präsenz sind so eindrucksvoll, dass sich der Blick kaum abwenden lässt. »Die Oberfläche ist für mich zentral, denn für mich sind alle Rätsel in die Oberfläche der Welt eingeschrieben. Alle Erwartungen werden davon erweckt und enttäuscht«, so beschreibt es Jochen Hein. Für ihn persönlich bleibt es aber ein ernüchternder, entmutigender Moment, zu erkennen, dass seine Beziehung zur Natur ohne Resonanz bleibt, banal gesprochen, dass den Bäumen menschliches Empfinden egal ist und sie einem anderen Zeitenlauf folgen. »Das Entsetzliche an der Natur ist denn auch nicht etwa ihre vielzitierte Grausamkeit, sondern vielmehr ihre totale Gleichgültigkeit.«3 Miguel Rothschild schreibt der Natur noch andere Eigenschaften zu. Seinen ersten FöhrAufenthalt 2020 – er nahm mit einer Rauminstallation an der Ausstellung Seestücke. Zwischen Fakten und Fiktion im MKdW teil 4 – nutzte er, um erste Landschaftsfotografien aufzunehmen. Im April 2023 kehrte der Künstler als Artist-in-Residence auf die Insel zurück und erkundete intensiv die nordfriesische Insel- und Halligwelt. Mit Kamera und Stativ war er auf Föhr, Amrum und Hallig Hooge unterwegs. Dass dabei fast durchgängig die Sonne schien, störte ihn fast schon ein wenig. »Zwei, drei Tage Sturm wären schön«, stellte der Künstler fest. Rothschild hat sich intensiv mit der Malerei der Romantik auseinandergesetzt, die der Natur, anders als in vorherigen Jahrhunderten, eine größere Bedeutung und Wirkmächtigkeit zusprach. Formuliert in seiner Publikation Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, hob der irisch-britische Schriftsteller und Staatsphilosoph Edmund Burke die empirisch-sensualistischen Qualitäten des sogenannten Erhabenen hervor: Das Erhabene (im englischen und romanischen Sprachgebrauch gleichlautend mit sublime, das Sublime) rufe Erschauern, aber zugleich »frohen Schrecken« hervor 5 und stehe für etwas Großes, mag es schroff, dunkel oder mächtig sein, und für etwas Geistig-Jenseitiges. Um dieser Empfindung nachzuspüren, galten Regionen, die als wild und ursprünglich wahrgenommen wurden und noch keine Spuren zivilisatorischer Eingriffe trugen, als besonders attraktiv. 3 Kat. Jochen Hein. Die zweite Natur, Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2003. 4 Kat. Seestücke. Zwischen Fakten und Fiktion, Sea Pieces. Facts and Fiction, hg. von Ulrike Wolff-Thomsen/ Museum Kunst der Westküste und Christiane Stahl/ Alfred Ehrhardt-Stiftung, bearb. von Harald F. Theiss, Petersberg 2020. 5 Edmund Burke: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, übersetzt von Friedrich Bassenge, Hamburg 1989.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1