Leseprobe

17 16 / Es ist weniger Caspar David Friedrich, von dem drei kleine Wolkenstudien überliefert sind, als vielmehr sein Künstlerfreund und Nachbar Johan Christian Dahl – Friedrich wohnte in der dritten Etage des Hauses An der Elbe 33 in Dresden, Dahl in den beiden Geschossen darüber –, der sich immer wieder der neuen Wirklichkeitsaneignung stellte und das sich so schnell Verflüchtigende, die Wolken, in zahlreichen Ölstudien eingefangen hat. Während Dahl das neue Medium der schnell trocknenden Ölstudie im Freien oder mit Blick aus seinem Atelierfenster nutzte, beschreitet Jochen Hein einen anderen Weg. Er löst sich vom realen Vorbild und schafft doch ein Abbild. Er hat die Bilder im Kopf – es ist seine Natursicht, die darin gespiegelt wird und die der Betrachter als »wahr« ansieht. Die Schönheit der Wolkenformationen (S. 51) wird auch deshalb als so stark empfunden, weil die Wolken trotz ihrer Flüchtigkeit als vollkommen zeitlos erscheinen. Sie erschaffen sich selbst in der realen Welt, in den Gemälden ist Jochen Hein ihr Schöpfer. In der sechsteiligen Serie Himmel (S. 59–61), in der ein schmaler unterer Bildstreifen dem ruhig daliegenden Meer vorbehalten ist, fegen unterschiedliche Wolkenschichten über den hohen Himmel. Es sind Cirrus- oder Zirrostratus-Wolken, die sich wie sanfte Schleier in der Atmosphäre entwickeln und – in diesen Beispielen – am eher abendlichen, nicht sommerlichen Himmel auftreten. Dunkel und dräuend wirkt auch die in der Studie Himmel (S. 66) am Nachthimmel erscheinende Schleierbewölkung. Es ist ein kurzer Moment, der sich im Nu verflüchtigen wird, ein Moment eingefrorener Zeit. Dunkelgrauem Sturmgewölk wird auch in Miguel Rothschilds zweiteiliger Arbeit Obsesión de una tristeza (S. 63) Bildwürde verliehen. Der Fotografie mit dem Motiv aufziehender dunkler Wolken liegt ein Spezialglas mit Einschlüssen auf, die je nach Beleuchtungslicht optisch wie stärker oder schwächer fallende Regentropfen hervortreten. So scheint die Atmosphäre mit dem Niederschlag vieler Wassertropfen erfüllt zu sein. Die beiden Bildelemente – Fotografie und Glasfläche – gehen eine kongeniale Verbindung ein, um eine unverwechselbare Wetterlage zu visualisieren. In einer weiteren Serie (S. 52, 57, 69 und 71) ruft Rothschild beim Rezipienten unbestimmte Ahnungen von Untergangsszenarien wach. Unheil scheint zu drohen. Es sind in der Regel keine Schönwetterwolken, die Rothschilds Aufmerksamkeit wecken, sondern Nimbostratus-Wolken, Regenwolken, die sich über den dunklen Himmel ohne feste Kontur ausbreiten oder sich überlagern. Der Himmel ist »sein« Himmel, den der Künstler von seiner Berliner Atelierterrasse aus aufgenommen hat. Er fühlte sich veranlasst, ihn in eine, wie Helen Adkins es ausdrückt, »Apotheose des alltäglichen Himmels«7 zu überführen. Noch eben sah der Himmel so schön, so hoffnungsvoll aus; nun scheint es, als kündigten sich dunkle Mächte an, die außerhalb der Einflusssphäre des Menschen agieren, aber auf ihn einwirken. Durch Rothschilds ausgefeilte Technik, dem Bildträger Verbrennungen zuzufügen und dadurch die Oberfläche zu perforieren, wird Darunterliegendes sichtbar und Teil der Gesamtwirkung. Der Betrachter wird verunsichert, ist irritiert. Die Perforationen bilden kein einheitliches Muster aus. Mal ballen sich die Löcher zusammen, mal stehen sie in 7 Kat. Premonition. Miguel Rothschild, bearb. von Helen Adkins, Bielefeld 2022, S.126.

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