18 Im April 1719 waren auf Donauschiffen »einige Centner geschlagenes Silber/als Spiegelrahmen etc. von Augsburg zu Wasser anhero geführet worden/so/nebst mehr andern Kostbarkeiten/als Präsenten der Kaiserliche Groß-Bothschafter/Titl. Herr Graf von Virmont/ mit sich nach der Türkey nehmen werde«.2 Wenig später folgten prachtvolle Geschenke aus der 1718, im Jahr des Friedens von Passarowitz, gegründeten Porzellanmanufaktur in Wien, an deren Gelingen Damian Hugo von Virmont (1666–1722), vormals Gesandter in Dresden, zu Beginn maßgeblich beteiligt war.3 Ihre Modelleure und Maler waren sichtlich über die Vorlieben des Sultans und seines Hofes instruiert (Abb. 1).4 Bereits 1719 waren zudem »gantze Partien« an Wiener Porzellan als erste Exportsendung der Manufaktur nach Ungarn und in die Türkei erwähnt.5 Aus Konstantinopel kamen in jenem Jahr edle Pferde und Prunkgeschirre für den Kaiser mit dem osmanischen Großbotschafter nach Wien. Dem mehrsprachigen und diplomatisch versierten Ibrahim Pascha wurde kurz nach seinem Eintreffen die Ehre zuteil, am 20. August 1719 der öffentlichen Hochzeitstafel Erzherzogin Maria Josephas (1699–1757) und des Sächsischen Kurprinzen im Sommerschloss Favorita zuzusehen, wenn auch »unbekanter Weyse« aus einer eigenen Loge. »VON SONDERBAHRER SCHÖNHEIT« Die gewonnene Freiheit sorgte für zukunftsorientierte Ideen. Der Absolutismus alter Ordnung stand dem Fortschritt nicht im Weg; zu deutlich zeigte sich der Aufbruch des kosmopolitischen Adels, à la moderne und damit »heutig und jetzig« zu sein.6 Zu dieser Stimmung fügten sich die frühen Wiener Porzellane »von sonderbarer Schönheit« wie ein Wunschkonzert ihrer vielfältigen Kundschaft. Ungeachtet jeglicher ökonomischen Vernunft scheinen sie mit launiger Phantasie täglich »von ganz neuer Façon« erfunden worden zu sein.7 Ihr Charakter ist experimentell und künstlerisch variabel, dem innovativen Material und seinen herausfordernden Geheimnissen entsprechend. Wunder und Wissenschaft liegen darin nahe beisammen. Die Manufakturgeschichte des Gründers Claudius Innocentius du Paquier (1679–1751) lässt sich aufgrund der geringen Dokumentation nur mit einem weiten Blick erkunden, der Standort, Hauptdarsteller, ihre Netzwerke und die vielfältigen Beweggründe, Porzellan zu machen, zu bewundern und zu verwenden, beachtet. In der kaiserlichen Residenzstadt war das neue Lebensgefühl zunächst auf dem Fundament der Architektur eindrucksvoll und weithin sichtbar geworden. Persönlicher Geschmack und Beständigkeit standen hinter jedem der neuen Bauwerke, womit sich insbesondere der hohe Adel rund um die Wiener Hofburg etablierte und urbane Präsenz zeigte. Auch in den Vorstädten und Landschlössern konkurrierten bedeutende Architekten, Maler und Bildhauer, um Vergnügungsorte und Residenzen adeliger Unabhängigkeit zu schaffen. Das Palais des Fürsten Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein (1657–1712) in der Rossau fiel mit seinem italienischen Flair als schönstes auf (Abb. 2). Bereits Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein (1611–1684) formulierte die dauerhafte Wirkung bewussten Handelns, wenn es auf dem wahrhaft adeligen Gemüt basierte, »dessen wehsenheit iedoch sein sollte, curios zu sein, was schenes, rares und kinstliches ist zu schatzen und zu lieben, zu verlangen und zu ieben«.8 »Curiosität« wird in Zedlers Universallexicon ambivalent als »Neugierigkeit« und Unzufriedenheit mit dem Willen Gottes betrachtet, doch »Weil alle Curiosität den Verstand ergötzet«, besitze sie eine nützliche Eigenschaft, »sie erwecket Gedancken«. Am Ende macht sich die Frühaufklärung bemerkbar: »Und eben die Erwegung dieses Nutzens bekräfftiget und rechtfertiget die Curiosität derer, die mit gutem Fortgange nachdencken, und scharfsinnige Wahrheiten zu erfinden trachten.«9 2 Wienerisches Diarium, Num. 1636, 8. April 1719. Im Herbst des Jahres übergab Graf Damian Hugo von Virmont dem Sultan, der Sultanin und verschiedenen Würdenträgern die 108 prächtigen Silberobjekte, von zwei Meter hohen Spiegeln über komplett ausgestattete Kaffeetische bis zu Sherbetschalen und einem Dessertaufsatz. Als Anhang des Reiseberichtes wurden die Silbergeschenke beschrieben. Wienerisches Diarium, Num. 1679, 6. September 1719. 3 Der Frieden von Passarowitz (serb. Požarevac, damals ein Dorf, heute Verwaltungsstadt südlich von Belgrad) beendete den Venezianisch-Österreichischen (und 6. Österreichischen) Türkenkrieg und verhalf Österreich zur größten territorialen Ausdehnung. Weiterführend: Projekt 1 Die Großbotschaften Damian Hugo von Virmonts und Ibrahi Paschas (1719/20), QhoD des Insitute for Habsburg and Balkan Studies (ÖHW, Graz), https://qhod. net/context:vipa (21. 9. 2024). 4 Zelleke 2009 b, Abb. 11.14, 11.16. 5 Johann Melchior Steinbrück an den Legationssekretär Christian Adam Anacker, Porzellanmanufaktur Meißen, Betriebsarchiv (IAf3, fol. 299), Abb. in Neuwirth 2006, S. 15. 6 Zedler 1731/1754, S. 385, 728. 7 Wienerisches Diarium, Anhang zu Num. 61, 30. Juli 1729. 8 Zitiert nach Haupt 1990, S. 115. 9 Zedler 1731/1754, Bd. 24, Curiosität, S. 99 f., 172–174. ◄ Abb. 1 Manufaktur Du Paquier, Wien Rosenwasserkanne mit Becken, um 1735 Porzellan, Aufglasurfarben, Vergoldung Istanbul, Topkapı Sarayı Müzesi, Inv.-Nr. 16/773
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