19 MATERIAL DER ZUKUNFT Schein und Sein beschäftigte die Künste des frühen 18. Jahrhunderts tiefgreifend. Die Förderung der Wissenschaften zählte zu den fürstlichen Tugenden. Bildungsreisen führten nach England oder in die Republik der Vereinigten Niederlande, wo wissenschaftliche Werke zensurfrei publiziert werden konnten. In den namhaften Wiener Palais waren gepflegte Bibliotheken, Miniaturkabinette und Laboratorien eingerichtet. Auch Uhren gehörten als Zeitmesser in den Bereich fürstlicher Wissenssammlungen und wurden zu den phantasievollsten Kreationen der Manufaktur Du Paquier. »Curiosität« war jedenfalls im Spiel, als Claudius Innocentius du Paquier mit einer kleinen Gruppe von Financiers und Spezialisten sein außergewöhnliches Projekt einer Porzellanmanufaktur vorbereitete. Über Jahrhunderte zählte ostasiatisches Porzellan zu den wundersam fremden Dingen, deren Herstellung dem Reich der Magie zugeordnet wurde. Versuche, das weiße, transluzide, zarte und doch brauchbar harte Produkt nachzuahmen, führten bisher nur zu flüchtigen Ergebnissen, die dem Vorbild nicht nahekamen. Die Entschlüsselung des Porzellanmachens in Europa wurde daher zu einer der großen Sensationen des 18. Jahrhunderts. Es war ein Sieg der Wissenschaft und ein kultureller Sprung in die Zukunft. Doch das Geheime blieb, prägte die Wahrnehmung des Materials und steigerte Wert und Begehren (Abb. 3). Mit dem echten europäischen Porzellan stand ein Werkstoff zur Verfügung, welcher nicht nur durch neue praktische Eigenschaften glänzte, sondern in seinem ästhetischen Potenzial die gültigen Regeln der Künste ausspielte. Abb. 2 Christian Hilfgott Brand Blick auf Wien über die Vorstadt Rossau mit dem Gartenpalais Liechtenstein und seinem Belvedere, 1735 Öl auf Leinwand Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover Inv.-Nr. PAM 766
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