Leseprobe

21 DAS FREIE »COMMERCIUM« Mit dem Ziel, die Wirtschaft dauerhaft und im merkantilistischen Sinn zu entwickeln, hatte Kaiser Karl VI. (1685–1740) im Juni 1717 »allen und jeden Unseren Getreuen Inwohnern und Unterthanen« seine Gnade zugesprochen und rief zur Verbesserung der bestehenden und Gründung neuer Manufakturen in den Erblanden auf. Karl VI. versprach den »hierzu behilfflichen Auß- und inländischen Maistern auf ihr Anmelden gedeyliche Privilegia und Freyheiten«, dazu kaiserlichen Schutz sowie den Ausbau und die Sicherheit der Handelswege auf See und Land, wobei auch der Hofkriegsrat zur Mitwirkung angehalten war. Ziel war das »freye commercium« als heilsame Maßnahme für »Uns/und dem gemeinen Weesen«.10 1710 wurde die Meissener Porzellanmanufaktur als erste ihrer Art in Europa gegründet und inspirierte zur Nachahmung.11 Damian Hugo von Virmont war als kaiserlicher Gesandter in Sachsen behilflich, die richtigen Protagonisten für das Wiener Vorhaben zu »associieren«. Er warb um die Unterstützung des »Kunstarbeiters« Christoph Conrad Hunger aus Thüringen, der über Kenntnisse als Goldschmied, Vergolder und Emailleur zu verfügen schien. Nach eigener Aussage hatte ihm Böttger das Geheimnis der Porzellanmasse mitgeteilt. Hunger und der erfahrene Mitarbeiter Böttgers, Johann George Mehlhorn, wurden am 29. September 1717 von August dem Starken mit 300 Talern »Wegen der neuen Invention die Blaue Farbe auf das Porcellain zutragen« entlohnt. Zuvor war dem Kurfürsten und König ein solcherart dekoriertes »Schälgen« vorgestellt worden.12 Der Diplomat Virmont hatte Hunger inzwischen erfolgreich »persuadiert«, im Oktober 1717 war er bereits in Wien. Für Du Paquier erwies sich Hunger zunächst als nützlicher Compagnon, kannte er doch die wichtigsten Mitarbeiter in Sachsen und korrespondierte mit ihnen über Materialien und deren Quellen. Die Entwicklung der Farben ging in Meissen nur langsam voran. Du Paquier konnte technisch überholen, doch hatte er zuerst das elementare Problem der Porzellanmasse zu lösen. Die Zeit eilte, denn um das Privileg für die Porzellanerzeugung zu erringen, musste Produktionsfähigkeit bewiesen werden. Laut Christoph Conrad Hunger suchte er mit Du Paquier über ein Jahr lang rund um Wien, in Ungarn und Böhmen vergeblich nach einer adäquaten Erde, dem feinen weißen Kaolin. Erst im Bistum Passau wurden sie fündig. Virmonts nächster personeller Erfolg war die Ankunft Just Friedrich Tiemanns in Wien im August 1718 mit einem essenziellen Schatz im Gepäck: den Zeichnungen der Brennöfen. Du Paquier erwarb sie für 50 Taler.13 Hunger schrieb am 6. Mai 1718 an Mehlhorn und bat ihn, Meißen binnen drei Wochen mit ein oder zwei Mitarbeitern nach Wien zu verlassen sowie etwas Kobaltblau und auf dem Weg ein Fässchen der Passauer Erde zu besorgen. Die Frist von drei Wochen fiel auf das Datum des Privilegs, das Kaiser Karl VI. am 27. Mai 1718 in Schloss Laxenburg unterzeichnete. Ob Kaiser Karl VI. von der Idee einer Wiener Porzellanmanufaktur überrascht oder durch den angebahnten dynastischen Bund mit Sachsen und die Kunde um das »Sächsische Porcellain« sogar selbst engagiert war, ist nicht überliefert, doch wird erwähnt, dass Du Paquier sein Anliegen »des mehreren vor- und angebracht habe«.14 Jedenfalls beachtet das als Kopie in kleinster Handschrift erhaltene fünfseitige Privileg alle spezifischen Aspekte dieses Vorhabens, von der gelobten Symbiose aus »Fleiss, Kunst und Wissenschafft« über die Beschaffung der Rohstoffe bis hin zum anerkannten Risiko durch »Gefahr und grosse Unkosten«.15 Alle fachlichen Details des Privilegs spiegeln vermutlich das nicht erhaltene Ansuchen Du Paquiers wider. Seine drei im Privileg anerkannten »Mit-Consorten« waren der erwähnte »Goldarbeiter« Christoph Conrad Hunger sowie ein Kollege Du Paquiers, ein Hofkriegsagent namens Peter Zerder, und der zunächst finanzkräftige »Niederlags-Verwandte« Martin Becker.16 Trotz der Versicherung des Kaisers im Wortlaut des Privilegs, finanziell nichts beizusteuern, schwingt kaiserlicher Enthusiasmus für das Projekt mit, »weilen es keine gemeine Handwercksarbeit, sondern in sich selbst ein geheimes und fürtreffliches Kunstwerk ist«. 10 Facsimile des Originals in Aust.-Kat. Wien 1970, S. 12. 11 S iehe den Beitrag von Wagner in diesem Band, S. 47–53. 12 Zitiert nach Rückert 1990, Mehlhorn sen. II, S. 51, und Hunger X, S. 82. 13 Lehner-Jobst 2009, S. 158. 14 A us dem kaiserlichen Privileg, 27. Mai 1718, OeStA Wien FHKA, NHK Bancale Akten NÖ 620, fol. 1 r. (Kopie nach 1718). 15 Ebd. 16 I n der späteren Kopie des Privilegs als »Martin Peter«. »Niederlags-Verwandter« bezeichnete in Wien einen Wechsler oder »vornehmen Kaufmann«, dem trotz seiner nicht katholischen Religionszugehörigkeit ein Wohnsitz in der Stadt Wien erlaubt war.

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