Das Standkreuz mit seiner sensibel modellierten Christusfigur, erhöht auf einem mit aller verfügbaren Pracht gestalteten Sockel, gilt als Meisterwerk des frühen Wiener Porzellans. Für die Anfertigung dieses einzigartigen sakralen Objekts war mit Sicherheit ein Bildhauer von Rang beauftragt, der in Zusammenarbeit mit einem Maler und Vergolder der Manufaktur die Eigenschaften des Materials Porzellan für seinen Entwurf zu nutzen wusste. Den erstaunlich akkuraten anatomischen Details des Gekreuzigten nachspürend, erinnert die Sichtweise des Künstlers an jene eines Elfenbeinschnitzers oder an die Feinheiten einer florentinischen oder französischen Kleinbronze. Die in Porzellan gegossene Figur ist technisch makellos gelungen und ausgearbeitet. Ihr langgestreckter, feingliedriger Körper wurde weiß belassen, bis auf die im drastischen Naturalismus des Barock mit kostbarem Purpur dargestellten Wunden und wenigen in hellem Kobaltblau lavierten Details auf Mund und Füßen des Sterbenden. Die eigentliche Dramatik liegt jedoch in der stillen Emotion des Leidens und der Hingabe der im Viernageltypus ausgeführten Christusfigur. Feinste Details sind auch in den von Schmerz gezeichneten, doch würdigen Gesichtszügen wiedergegeben und bündeln die Aufmerksamkeit der Betrachtenden. Der Vergleich mit Giambolognas Christus von ähnlich zierlicher Gestalt und subtiler Körperdrehung (Liebighaus, Frankfurt am Main) lässt eine Vertrautheit des Meisters dieses Wiener Kruzifixes mit der florentinischen Tradition anklingen. Der Sockel gleicht mit seiner architektonischen Konstruktion, den kühnen Volutenfüßen und mit Purpur und Gold staffierten ornamentalen Details, wie Akanthusblättern und gitterartig durchbrochenen Kartuschenfeldern sowie Muschel- und Palmettenmotiven, den um 1730 entstandenen Uhrgehäusen der Manufaktur Du Paquier (Kat.-Nr. 96). Stilistische Parallelen finden sich zudem in zeitgenössischen Altarmodellen und Möbelentwürfen, wie beispielsweise den Torchères mit Wiener Boulle-Marketerie aus den Fürstlichen Sammlungen. Die Schauseite und die beiden seitlichen Wandungen des Sockels sind mit vergoldeten Bas-Reliefs en miniature belegt, inspiriert von zeitgleichen Arbeiten Georg Raphael Donners (1693–1741) und seiner Schüler. Dem Ablauf des Kreuzigungsgeschehens folgend, wird auf der linken Seitentafel die Geißelungsszene geschildert, auf der Vorderseite die Beweinung Christi und rechts die erlösende Auferstehung. Die Narrative und die grazile Physis des Gekreuzigten, beides in einem dem Material Porzellan, aber auch dem Zweck gerechten Format, dienten der Verinnerlichung und Nachempfindung in der Privatheit einer Hauskapelle oder eines persönlichen Altars in den Privatgemächern eines hochrangigen Palais. Im Ordentlichen Catalogus der Wiener Porzellanlotterie vom 17. März 1735 werden als Gewinne »Ein Crucifix zum Aufsetzen von mittlerer Größe 150. Floren«, sowie »Ein groß=sehr künstlich=mit Vergoldungen und Farben fein gemahltes Crucifix mit denen Figuren Maria/St. Johannes/und Magdalena, 200 fl.« beschrieben. Zu Letzterem berichtete der Breslauer Gelehrte Johann Christian Kundmann in der Publikation naturwissenschaftlicher Neuheiten.1 Josef Folnesics und Edmund Wilhelm Braun erwähnten ein Kruzifix im Besitz der Fürsten von Esterházy in Esterháza »auf einem Sockel mit buntem Barockdekor«.2 Dort herrschten höchste künstlerische Ansprüche, wie Johann Friedel von seinem Besuch in den »Briefen aus Wien an einen Freund in Berlin« schreibt: »[H]ier sind alle Gegenstände zahlreich und so auffallend, dass sie auch auf den gefühllosesten und nachlässigsten Besucher größten Eindruck machen müssen.«3 1 Kundmann 1737, S. 640 f. 2 Folnesics/Braun 1907, S. 38 f. 3 Friedel 1783, S. 485. Detail von Abb. 1 43
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