Leseprobe

107 Im Japan der Edo-Zeit erforderte es Jahre der Ausbildung, um eine Kurtisane der höchsten Klasse zu werden, und nicht jeder konnte Zugang zu diesen Frauen erlangen. Kunden mussten hohe Beträge bezahlen und zudem die Gunst dieser Frauen »gewinnen«. Ihre Schönheit und die kostspielige Kleidung waren eine der wichtigsten Quellen für ukiyo-e, in denen sie oftmals vor schmucklosem Hintergrund abgebildet waren (Abb. 2).1 Diese Drucke wurden von Menschen erworben, die das Vergnügungsviertel besucht hatten, und dienten wohl als eine Art Erinnerung. Mit großer Wahrscheinlichkeit bildeten ukiyo-e die Vorlage für die Porzellan-bijin; vermutlich waren auch die Figuren Erinnerungsstücke an wunderbare, mit einer Edelkurtisane verbrachte Abende. Interessanterweise erwähnt der älteste japanische Hinweis auf eine Porzellan-bijin von 1807, dass sich eine Figur in sitzender Haltung im Besitz des berühmten haiku-Dichters Konishi Raizan (1634–1716) befand. Er verfasste den kurzen Aufsatz Onna ningyō niko (Ein Bericht einer weiblichen Figurine), in dem er auf sein Exemplar verweist.2 Die Herstellung dieser und anderer Porzellanfiguren fand in Arita auf der Insel Kyūshū statt. Hier wurde irgendwann Anfang des 17. Jahrhunderts erstmals in Japan Porzellan entwickelt, mit Unterstützung koreanischer Töpfer, die aus Korea zwangsübersiedelt worden waren. Ende des 17. Jahrhunderts stand die Produktion in voller Blüte, und die hochwertigsten Produkte entstanden im Kakiemon-Brennofen. Aufgrund der Beliebtheit dieses Porzellans in strahlenden Glasurfarben – sowohl im Inland als auch in Europa – begannen auch andere Werkstätten mit der Herstellung von Stücken im Kakiemon-Stil. Es ist nicht ganz klar, ob die Kakiemon-Figuren der bijin in den tatsächlichen Kakiemon-Brennöfen oder in anderen Werkstätten entstanden. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass sich europäische Sammler bewusst waren, wen diese Figuren verkörperten; mit ihrem fremdartigen Aussehen und ihrer Kleidung müssen sie jedoch als Kuriositäten gegolten haben. Sie wurden wohl zusammen mit anderen Porzellanstücken entweder auf einem Sockel an der Wand, auf einem Konsoltisch oder aber auf einem anderen Möbelstück präsentiert, wie im Spiegelsaal von Schloss Weißenstein in Pommersfelden noch heute zu sehen ist. Die relativ beschränkte Anzahl, in der sie in Europa ankamen – vor allem im Vergleich zu anderen Objekten wie Vasen, Tellern und ähnlichem –, machte sie zudem sehr teuer im Erwerb. Figuren unterschiedlicher Ausprägung wurden bereits 1659 von den Niederländern aus Japan nach Europa verschifft.3 Diese in der Kakiemon-Palette gefertigten Figuren wurden hauptsächlich zwischen 1670 und 1700 exportiert. Es hat den Anschein, dass die Nachfrage nach diesen Objekten ab dem 18. Jahrhundert schwand, was unter anderem wohl eine Auswirkung der Entwicklung von Porzellan in Meißen, Wien und anderen europäischen Orten war. Diese Manufakturen konnten Figuren herstellen, die dem europäischen Geschmack eher entsprachen, wie romantische Pärchen oder chinoiserieartige Skulpturen. Abb. 2 Eine Kurtisane und ihre Dienerin Japan, 1661–1672 Tusche und Farbe auf Papier Amsterdam, Rijksmuseum (Leihgabe der Vereniging van Vrienden der Aziatische Kunst) Inv.-Nr. AK-MAK-1167

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