Leseprobe

9 ◄ Detail von Kat.-Nr. 77 EIN GEHEIMNISVOLLES MATERIAL DAS BAROCKE WIEN UND SEINE PORZELLANMANUFAKTUR STEPHAN KOJA Kaum ein Material bringt die Ästhetik und das Lebensgefühl des frühen 18. Jahrhunderts so zum Ausdruck wie Porzellan. Und kaum eine Porzellanmanufaktur in Europa hat in so faszinierender Weise dem Geist der Stadt, in der sie ihre Erzeugnisse geschaffen hat, anschauliche Form verliehen. Nachdem man nach der Belagerung Wiens 1683 die Osmanen und damit eine existenzielle Gefahr für das Reich abgewehrt hatte, stürzte man sich in der Hauptstadt und den Kronländern voller Tatendrang in den Wiederaufbau und die ökonomische Weiterentwicklung. Getragen wurde dieses Bestreben vom Adel, der im Sinne des Merkantilismus die Ertragskraft der eigenen landwirtschaftlichen Betriebe, die Entwicklung innovativer Herstellungstechniken und die Erschließung neuer Geschäftsfelder förderte. In der Folge erlebten besonders die Städte einen enormen Aufschwung, der sich in einer intensiven Bautätigkeit niederschlug. Gebäude von nie zuvor gesehener Pracht entstanden, die den politischen und gesellschaftlichen Anspruch ihrer Bauherren selbstbewusst vortrugen. Gleichzeitig war die Zeit erfüllt von dem Wunsch nach umfassendem Wissen und einem tieferen Verständnis der physischen Welt. Folglich unternahm man ambitionierte alchemistische Forschungen, die von der Aristokratie gefördert oder oft selbst betrieben wurden, und nicht wenige Wiener Palais besaßen Laboratorien oder Brennöfen für diese

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1