Leseprobe

Religiöse Repräsentation als Mittel der Herrschaftsetablierung der Hohenzollern in der Mark Brandenburg zur Zeit Kurfürst Friedrichs II. 111 I zogen und dem Prior und der Klostergemeinschaft direkt übertragen wurde.56 Das Stift auf dem Harlunger Berg stellte also eine der wichtigen frühen Stiftungen der Hohenzollern in ihrem neuen Territorium dar und besaß damit eine große Bedeutung für das Selbstverständnis und die Legitimation der Dynastie in der Mark Brandenburg. Die mehrfache Eignung des Ortes für die herausragende Stiftung eines höfischen Ordens thematisieren auch die Gründungsurkunde Friedrichs II. und die drei Jahre später erlassenen ausführlichen Statuten des Ordens: Neben den vielen anderen Orten, an denen die Jungfrau in der Mark Brandenburg verehrt würde, käme dem Harlunger Berg eine besondere Bedeutung zu. Bereits der Wendenkönig Pribislaw, der seit seiner Taufe 1136 den Namen Heinrich getragen habe, habe dort »eine schone kercke gebuwet vnd unnse liue frowe« habe hier »vele gnade gedan«.57 Zusätzlich zur Bedeutung als Ort der christlichen Bekehrung eines fürstlichen Heiden und der jahrhundertelangen Wundertätigkeit der Heiligen Jungfrau sei die Stätte zudem in dem Fürstentum gelegen, in welchem Friedrich Markgraf und Erzkämmerer des Reiches sei. Außerdem sei an dieser Stelle mithilfe des Vaters, mit Friedrichs Hilfe sowie der des Dompropstes und des Kapitels der Brandenburger Kirche ein neues Stift eingerichtet worden.58 Märkische Identität als alter Marienwallfahrtsort wird in den Urkunden also geschickt mit dynastischer Identitätsbildung verbunden, wobei auch das relativ neue Amt als Kurfürst nicht unerwähnt bleibt. Selbst die bestimmt nicht völlig freiwillige Übertragung der Rechte an der Marienkirche auf die hohenzollernschen Stiftsherren bekommt in Friedrichs Lesart den Klang eines harmonischen Gemeinschaftsprojekts zwischen den beiden Markgrafen und den Geistlichen der konkurrierenden Brandenburger Diözese. Ähnlich wie die Wahl des Ortes ist auch das Datum der Gesellschaftsgründung symbolisch aufgeladen: Während nicht nur die zeitliche Nähe zur väterlichen Stiftung des Prämonstratenserklosters von 1435 ins Auge fällt – hier ist es der 26., dort der 29. September – bietet die Wahl des St.-Michaels-Tages darüber hinaus verschiedene Deutungsangebote. Am Tag des Erzengels Michael wird Friedrich II. einerseits dessen Funktion als Seelenwäger gereizt haben, da dies für die memorialen und seelsorgerischen Aspekte des Ordens von großer Bedeutung gewesen sein wird. Andererseits kann die Tatsache, dass der Erzengel auch als der ritterliche Anführer der himmlischen Heerscharen und als Schutzpatron des Reiches fungierte – bei der Schlacht auf dem Lechfeld wurden sein Bild und Name auf den Feldzeichen mitgeführt59 –, dem kurfürstlichen Stifter und den fast ausschließlich adeligen Mitgliedern des Ordens alles andere als unrecht gewesen sein. Im Alten Testament wird besonders auf seine Position als Großengel der Engelfürsten verwiesen, im Neuen Testament steht seine kämpferische Schutzfunktion im Vordergrund. Durch die Wahl dieses Heiligen, der im gesamten Mittelalter als Symbol der »Ecclesia militans« und Bezwinger des Satans galt,60 verwies der Stifter auf Aufgaben und Gefahren, die auch in den Statuten des Ordens wieder aufgegriffen wurden. Während nämlich in der Stiftungsurkunde von 1440 als Grund der Einrichtung der Gesellschaft noch schlicht die besondere Verpflichtung des Kurfürsten genannt wird, Maria zu ehren und zu danken, da er aufgrund seiner hohen Stellung mehr als andere dazu verpflichtet sei, werden die Motive in den Statuten von 1443 durchaus ausführlicher erläutert. Hier macht Friedrich deutlich, dass es seine Aufgabe als Fürst sei, seinem Land und dessen Einwohnern Frieden zu bringen und ein Leben in Eintracht zu ermöglichen. Die Zeiten seien jedoch schwer, da schreckliche Irrtümer und »verderfflike twidracht«61 in der gesamten Christenheit, dem Heiligen Reich und den deutschen Landen herrschten, die sich Tag für Tag verschlimmerten und Ohnmacht und Verderben über den christlichen Glauben brächten. Da dies die Strafe Gottes für die Sünden der Menschen sei, habe Friedrich die Gesellschaft zu Ehren Mariens gegründet, damit die Menschen ihren Lebenswandel bessern und die Gnade der Heiligen Jungfrau erwerben könnten. In einer Zeit, die durch das andauernde Schisma und die kurfürstliche Neutralitätspolitik geprägt war, inszenierte der neue Kurfürst und Markgraf seine Verantwortung für seine Untertanen und das Wohl der Christenheit, indem er eine aussichtsreiche Möglichkeit bot, die schwere Krise zu überwinden und die Gnade Gottes wiederzuerlangen. Die Statuten machen insgesamt deutlich, wie eng die Gesellschaft an die großen Hoforden der Zeit angelehnt war. Besonders die Nähe zum Orden vom Goldenen Vlies sticht ins Auge, auch wenn die Stiftung des zweiten hohenzollernschen Kurfürsten die bruderschaftlichen Funktionen stark in den Mittelpunkt rückte. Der zehn Jahre zuvor vom Herzog von Burgund gegründet Orden war Vorbild für viele nachfolgende Gründungen an den Höfen Europas, aber im Reich war

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