Hochadelige Repräsentation in Böhmen und Schlesien Zur kunsthistorischen Stellung der Wandmalereien des Wohnturms von Boberröhrsdorf (Siedlęcin) Markus Hörsch Die Wandmalereien im Wohnturm von Boberröhrsdorf (Siedlęcin)1 sind in der Region heute ungewöhnlich und auch europaweit können sie als seltenes Beispiel gelten, vertreten sie doch in großen Teilen eine weltliche Malerei der Blütezeit hochgotischer Kunst.2 Gewiss sind weltliche Themen als Raumschmuck, sei es in Form von wandfester Malerei oder von Tapisserien (zweier Gattungen, die sich auf jeden Fall auch stark gegenseitig beeinflusst und befruchtet haben), einst sehr viel häufiger gewesen, als es die heute erhaltenen Beispiele suggerieren. Es sind eben nur wenige Burgen und Schlösser so relativ gut erhalten wie der schlesische Wohnturm – man führe sich nur vor Augen, was aus all den Residenzen der zahlreichen piastischen Fürstentürmer in Schlesien geworden ist, insbesondere was ihre Wohnräume und Ausstattung betrifft. Die überkommenen Beispiele gewinnen ein umso höheres Gewicht. Doch verursacht dies methodische Probleme. So ist es – verglichen mit der handschriftlich überlieferten epischen Dichtung jener Zeit – weitaus schwerer, ja unmöglich, Abhängigkeiten erzählerischer Zyklen untereinander zu rekonstruieren. Oft ist es, wie im Falle von Siedlęcin, nicht einmal möglich, die dargestellten Themen eindeutig zu benennen – Jan Dienstbier zeigt in diesem Band die offenkundigen Probleme auf. Ein Ausweg für Interpretinnen und Interpreten findet sich meist in einer eher allgemein-kulturwissenschaftlichen Herangehensweise, die alle greifbaren Zeugnisse bildkünstlerischer, dichterischer und historisch quellenmäßiger Art zusammenträgt. So entsteht ein farbiges Bild, das sicher nicht falsch ist, sofern es in einer eher allgemeinen Weise ein Panorama gesellschaftlicher, insbesondere oberschichtlicher Ideale betrifft, die zweifellos auf Normen und Realitäten beruhten, die sie jedoch – wie auch in der religiösen Kunst – festigten, indem sie sie erst eigentlich konstruierten und transzendierten. Aber es bleibt eben ein eher diffuses Bild, das den Hypothesencharakter einzelner Argumentationsschritte oft nicht klar genug benennt. Siedlęcin ist hierfür ein besonders einschlägiges Beispiel, bedingt durch die Tatsache, dass der hier anzutreffende kleine Zyklus von Wandbildern nie vollendet wurde. Es ist eine begonnene, nur im westlichen Abschnitt der Südwand annähernd vollendete Zusammenstellung. Schon Rita Probst hat in ihrer in den 1930er Jahren verfassten Dissertation3 die Aufteilung treffend umrissen – den übergroßen Christophorus interpretierte sie als kompositionellen Mittelpunkt, begleitet östlich von einer »Darstellung von symbolischem Charakter«, dem »Memento mori«, und westlich von dem eigentlichen erzählenden (»epischen«) Zyklus in zwei Registern.4 Auf der Westwand finden sich »zwei Szenen in Umrisszeichnung, die übereinander angeordnet, aber nicht wie die Bilder der Südwand gerahmt sind«.5 Es ist also eine Abfolge ganz unterschiedlicher Bildfelder. Man kann heute den Eindruck gewinnen, dass das annähernd quadratische Feld mit der Darstellung zweier in höfische Mode gekleideter Paare den Auftakt bildete. Sie befinden sich im Dialog, was die erhobenen Hände und die heute weitgehend leeren Spruchbänder zeigen. Auf dem Rahmen befand sich eine sehr lange, zweizeilige Inschrift, die sicherlich Auskunft über Zweck und Inhalt der Malerei gab. Eine Architektur ist nicht zu erkennen, vielmehr folgt auf den heute heller erscheinenden Rahmen mit den Schriftfragmenten ein weiterer, innerer Rahmen, den die seitlich stehenden Figuren überschneiden, ebenso eine hockende Atlantenfigur zwischen den Paaren. Sie trägt offenbar den Rahmen mit der Inschrift. Zwischen den Paaren dürften ebenfalls Wesen dargestellt gewesen sein, offenbar geflügelte, wie die Umrisse anzudeuten scheinen. Die Bezeichnung »Memento mori« bezieht sich auf die heute ganz bleichen Figuren zu Füßen der stehenden Paare, offenkundig Leichen (weniger »Auferstehende«), die zu
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