I 220 Bildliche Repräsentation dition, die man früher, zum Beispiel um 1220/1230 in der bayerischen Handschrift der Eneid des Heinrich von Veldeke, heute in Berlin aufbewahrt, in künstlerischer Meisterschaft antrifft (Abb. 2). Hier sind die Binnenrahmen breiter, und das Gestaltungsprinzip, den Figuren überhaupt keinen Bildraum zu gewähren, sondern sie auf den schmaleren äußeren Rahmen agieren zu lassen und sie zudem durch die stark stilisierte Faltengebung der Gewänder selbst flächig erscheinen zu lassen, am deutlichsten ausgeprägt. Dies erfordert ein sicheres Gefühl für die Komposition in diesem streng umrissenenen Rahmen.17 Der Entwerfer der Wandmalereien von Siedlęcin folgt noch einem ähnlichen Prinzip, doch erhalten die Figuren ein höheres Maß an eigener Plastizität und immerhin einen durch den Boden angedeuteten schmalen Bildraum, in dem sie agieren. Eine noch modernere Version solcher teppichartigen Darstellungsweisen, lockerer komponiert, zeigen die Darstellungen der bekannten nordostfranzösischen Handschrift des Prosa-Lanzelot, heute in der Morgan Library in New York.18 Man datiert diese Handschrift auf etwa 1310/1315 und Jacek Witkowski betont zu Recht eine Verwandtschaft mit den Wandmalereien in Siedlęcin.19 Die bekannte Szene des ersten Kusses zwischen Lancelot und Guinevra, beschützt von Galehaud (Abb. 3),20 besitzt einen einfachen breiten Rahmen, dessen verschiedene Abschnitte in verschiedenen Farben gehalten sind, die jeweils in einem gewissen Kontrast zu den Hintergrundflächen der einzelnen Szenen stehen. Rechts konversieren die Dame Malohaut, Laura de Carduel und der Senechal, weit entfernt in der Natur und überrascht, allein gelassen zu sein. Der Buchmaler verwendet sehr ähnliche Bildelemente wie derjenige in Siedlęcin, aber es gibt Unterschiede im Bildaufbau: Die Binnenrahmung entfällt, der Rahmen schließt die Szene also ein und bildet nicht mehr einen Teil des Hintergrunds. Gegen seine Dominanz sträuben sich gleichsam die Bäume in der Ecke. Die Dreidimensionalität des Thronsitzes wird angedeutet. Dies sind Elemente einer künstlerischen Entwicklung, die man in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts allenthalben beobachten kann. Die Körper der Figuren der Lancelot-Miniaturen in ihren grafisch-linear konstruierten stoffreichen Gewändern stehen in einem gewissen Gegensatz zu den kleinen Köpfen und den sehr schlanken Gliedmaßen. Vergleicht man in Siedlęcin die sitzenden Damen der ersten Erzählszene des oberen Registers (vgl. Abb. 5 im Beitrag Dienstbier), so ähneln die Gestalten trotz starker Farbverluste den entsprechenden Darstellungen in der New Yorker Handschrift. Allerdings werden hier stets noch Stoffstücke seitlich der Sitzfläche ausgebreitet, was in Siedlęcin schon wegen der gedrängteren und den Bildraum stärker ausfüllenden Darstellungen nicht möglich war. Der in Siedlęcin tätige Künstler dürfte eine solchen nordfranzösischen Beispielen nahestehende Handschrift oder zeichnerische Vorlage zur Verfügung gehabt haben, Abb. 3 Le Roman de Lancelot du Lac, der erste Kuss zwischen Lancelot und Guinevra, beschützt von Galehaud. New York, The Morgan Library and Museum, M. 805 und M 806, fol. 67r (Foto: Museum)
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