Leseprobe

Hochadelige Repräsentation in Böhmen und Schlesien 221 I die freilich die dargestellten Figuren und Objekte etwas näher »heranzoomte«. Dies zeigt sich zum Beispiel bei dem Vergleich der auf einer Torarchitektur Lancelot begrüßenden Königin Guinevere mit ihren Begleiterinnen sowie der daneben dargestellten Kampfszene, in der Lancelot gegen die Ritter Galehauds antritt (Abb. 4). Die Form der zinnenbewehrten Türme entspricht sich, ebenso die flächige Anordnung der Bauten. In der Handschrift bleibt jedoch mehr Platz, sodass die von ihren Hofdamen begleitete Königin, die den rot gewandeten Ritter mit seinen grün bedeckten Reitpferden empfängt, aus der Höhe herab sprechen kann. Auch die Proportionierung der Pferde in den Kampfszenen hier wie dort ist ähnlich – massige Leiber und schmale Köpfe –, dabei ist jedoch wieder zu beobachten, dass bei der französischen Handschrift der Raum weiter gewählt wird, sodass mehr Pferde und Reiter in wildem Getümmel untergebracht werden können. An wenigen Stellen überschneiden noch Bildgegenstände den Bildrahmen – der Turmhelm, die Füße des Knappen, ein Schwert, ein Pferdeschweif. Der Maler in Schlesien hatte also ein französisches Vorbild, und zwar in einer etwas »älter« erscheinenden Version, aber doch von ähnlicher Eleganz und Bewusstheit der Flächenregie. Über eine konkrete Zuordnung der Malereien in Siedlęcin zu einer bestimmten »Werkstatt« ist damit noch nichts gesagt. Es ist wenig verwunderlich, im Böhmen der späten Přemysliden und König Johanns von Luxemburg, den Import französischer Kunst und Formen beobachten zu können. Das Haus zur Steinernen Glocke am Altstädter Ring in Prag ist das beste erhaltene Beispiel dafür.21 Während die fragmentierten Skulpturen der Fassade direkt auf einen Bildhauer aus Frankreich verweisen,22 sind die wohl etwas älteren Wandmalereien in der Kapelle im Erdgeschoss23 nicht so eindeutig zuzuordnen. Zunächst sind zwischen Ost- und Westwand deutliche stilistische Unterschiede zu konstatieren. Den Wandbildern in Siedlęcin näher steht die Reiterszene mit dem hl. Wenzel an der Westwand. Die wenig räumliche Architektur, die schematisierten »Keulenbäume« mit ihrer stilisierten Blattkrone und der eingefügte breite, dunkelfarbige Binnenrahmen, den die Häupter der Dargestellten überschneiden, sind eng verwandte bildnerische Mittel. Man erkennt, dass die bevorzugte künstlerische Grundrichtung in diesen führenden Kreisen Böhmens und der verschwägerten Piasten im benachbarten Schlesien eine sehr ähnliche war. Dass verschiedene Künstler die vermutlich recht zahlreichen Aufträge zu erfüllen bereitstanden, zeigen auch die stilistisch noch in manchen Zügen verwandten Wandmalereien des Hauses »zum Engel«, Malé náměstí, čp. 144, ebenfalls in der Prager Altstadt (Abb. 5). Ihr Thema war wiederum bisher nicht bestimmbar.24 Die hier 1993/94 entdeckten friesartigen Szenerien sind zwar stark beschädigt, aber man erkennt noch die stilbildende Flächenfüllung mit den stilisierten Bäumen. Eine Reiterin trägt ein der Darstellung der Damen in Siedlęcin verwandtes Kleid. Allerdings sind hier die Köpfe etwas gröAbb. 4 Le Roman de Lancelot du Lac, Guinevere mit ihren Begleiterinnen empfängt Lancelot, Kampf Lancelots gegen die Ritter Galehauds. New York, The Morgan Library and Museum, M. 805 und M 806, fol. 60r (Foto: Museum)

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