Oberkammerdiener Repräsentationsbestrebungen der Aufsteiger in der Rudolfinischen Leibkammer Václav Bůžek Die Leibkämmerer und Kammerdiener Rudolfs II. waren Angehörige der Leibkammer des Kaisers. An deren Spitze stand der Obersthofkämmerer, der für die alltäglichen Bedürfnisse des Kaisers, dessen Wohnung und seine persönlichen Bedarfsgegenstände verantwortlich war.1 Kämmerer adeliger Herkunft wechselten einander im Dienst ab, wobei die Kämmererschlüssel das symbolische Zeichen der Zugehörigkeit der Kämmerer zur kaiserlichen Leibkammer darstellten.2 Da sich die Mehrzahl der Kämmerer nur gelegentlich am Hofe Rudolfs II. aufhielt, wuchs der unmittelbare Einfluss des Oberstkämmerers und insbesondere des Oberkammerdieners, die beide über direkten Zutritt zum Kaiser verfügten. Der Oberkammerdiener durfte, da es seine Pflicht war, sich Tag und Nacht um das Wohl Rudolfs II. zu kümmern, das Schlafzimmer des Kaisers jederzeit betreten. Der Oberkammerdiener kannte alle persönlichen Gegenstände, mit denen sich der Kaiser umgab, denn er war für deren tadellosen Zustand und Vollständigkeit verantwortlich. Der Oberkammerdiener war dem Oberstkämmerer unterstellt, der eine regelmäßige Inventur der persönlichen Gegenstände des Kaisers – vor allem der Kleider und Kleinodien, die sich in seiner Wohnung befanden – durchführte. Bei all diesen Tätigkeiten, die sich regelmäßig wiederholten, bildeten sich bestimmte Kommunikationssituationen, die die Oberstkämmerer und Oberkammerdiener zur Stärkung ihres Einflusses auf Rudolf II. und zu ihrem gesellschaftlichen Aufstieg zu nutzen wussten.3 Den tatsächlichen Einfluss der Oberkammerdiener am Kaiserhof enthüllen die Zeugnisse zeitgenössischer Beobachter aus dem ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, die eigene wie auch fremde Erfahrungen wiedergeben. Die Stärkung der Macht der Oberkammerdiener war gerade in diesem Jahrzehnt nicht zufällig. Nach dem erzwungenen Abgang des Oberstkämmerers Wolfgang Rumpf von Wielroß blieb seine Stelle in den Jahren von 1600 bis 1611 unbesetzt. Die Verpflichtungen des Oberstkämmerers übernahmen vorübergehend die beauftragten Kammerverwalter und Oberkammerdiener, deren Handlungsspielraum am Kaiserhof sich dadurch erheblich erweiterte. Besonders markante Aufmerksamkeit für die Verhaltens- und Handlungsweisen der Oberkammerdiener entwickelten die päpstlichen Nuntien Giovanni Stephano Ferreri und Antonio Caetano in ihren Schlussrelationen.4 Die Botschafter des Heiligen Stuhls nutzten den Einfluss der Oberkammerdiener auf Rudolf II., wenn sie sich um einen Termin für eine – immer wieder verschobene – Audienz beim Kaiser bewarben. Für die Vermittlung der Audienz boten sie den Oberkammerdienern Bestechungsgelder an. Aufgrund der Erfahrungen der Nuntien entstand in ihren Schlussrelationen und folglich in den päpstlichen Instruktionen das Bild eines eitlen, berechnenden, bestechlichen und gut informierten Oberkammerdieners mit außerordentlichem Einfluss auf Rudolf II. und auf dessen unmittelbare Umgebung.5 Obwohl sich einige Oberkammerdiener im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zum evangelischen Glauben bekannten, widmeten die päpstlichen Botschafter ihrer religiösen Gesinnung in den Schlussrelationen keine Aufmerksamkeit, denn die Fähigkeiten der Oberkammerdiener bezüglich der beschleunigten Vermittlung einer Audienz waren für die Botschafter des Heiligen Stuhls in Prag wichtiger als deren Bekenntnis.6 Roderigo Alidosi, Gesandter Großherzog Ferdinands I. von Toskana in Prag, sah mit eigenen Augen,7 dass die Oberkammerdiener vorrangig im Hintergrund agierten, wo die Fäden zur Durchsetzung der Interessen einzelner Personen oder ganzer »pressure groups« vielfältiger sozialer wie konfessioneller Zusammensetzung gezogen wurden.8 Der Oberkammerdiener beherrschte gemäß den Worten des toskanischen Botschafters am Hofe »alles«.9 Roderigo Alidosi bemerkte, dass der Kaiserhof den Oberkammerdienern als Quelle außerordentlichen persönlichen Reichtums diente. Der schnelle gesellschaftliche Aufstieg der Oberkammerdiener spiegelte sich in der Wahl ihrer Verhaltens-, Handlungs- und Repräsentationsstrategien.
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