Leseprobe

Oberkammerdiener 321 I Hofe Rudolfs II. In den Jahren 1601–1607 besuchte er den kaiserlichen Apotheker Hans Hegner, der ihm Lieferungen von Heilwasser, Salben, Bezoaren und weiteren Präparaten unterschiedlicher Natur, die er sowohl zur Heilung als auch zu seinen alchemistischen Experimenten nutzen konnte, zusagte.55 Parallel zum Dienst des Oberkammerdieners bekleidete Philipp Lang vorübergehend das seit 1606 vakante Amt des Oberjägermeisters im Königreich Böhmen. Die Hauptmänner der Kammergüter und die Förster und Aufseher über die königlichen Wälder schickten ihm nicht nur Mineralien besonderer Form und Gestalt, sondern auch Sendungen mit Stecklingen und Zwiebeln rarer Pflanzen, die er dann in seinen Prager Gärten anbaute.56 Die Art der Argumentation, die die katholischen Untersuchungsbeamten in der Anklageschrift des Philipp Lang von Langenfels benutzten, als ihn der Kaiser im Herbst 1607 aus den Diensten der Leibkammer entlassen hatte, lässt auf identische Vergehen in seinem Verhalten und Handeln schließen, wie sie bereits vier Jahre früher in der Anklage gegen Jeroným Makovský von Maková aufgetaucht waren. Auch im Fall Lang erscheinen Vorwürfe der Bestechung, der Unterschlagung von Kunstwerken und Beschuldigungen der Hexerei. Die Kläger warfen ihm überdies seine engen Kontakte zu Juden vor.57 Zwei Jahre danach schlossen die Angehörigen des böhmischen Ritterstandes den verhassten ehemaligen Oberkammerdiener und dessen Söhne Ferdinand und Andreas aus ihren Reihen aus.58 Den Oberkammerdiener bestachen regelmäßig mit hohen Geldsummen wie auch mit Geschenken von Kunstgegenständen Agenten und Gesandte des Kurfürsten von Köln, Ernst von Bayern, des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich Julius, des Herzogs von Modena, Cesare d’Este, des Herzogs von Savoyen, Karl Emanuel I., des Marschalls Johann Tserclaese Tillys und vieler anderer europäischer Magnaten, denen der außerordentliche Einfluss Philipp Langs im günstigen Fall die Tür zum Kaiser öffnete.59 Mit dem Oberkammerdiener pflegten Kontakte einer angespannten Freundschaft Hofwürdenträger und viele der obersten Landesbeamten, die in ihm einen gewandten und sehr einflussreichen politischen Spieler im Hintergrund des Kaiserhofes sahen. Sie bewirteten Lang immer wieder in ihren Prager Häusern, luden ihn zu Wildjagden ein und bedachten ihn mit Geschenken.60 Allem Anschein nach standen hinter der Ernennung Adams des Jüngeren von Waldstein in das Amt des Obersthofstallmeisters und vor allem von Andreas Hannewaldt von Eckersdorf in den Geheimen Rat in der zweiten Hälfte des Jahres 1606 die Machtinteressen des Oberkammerdieners.61 Bemerkenswerte Zeugnisse über den unerwarteten Sturz Philipp Langs gaben die Botschafter von Mantua in ihren Berichten an Vincenzo I. Gonzaga. Am Ende des Sommers 1607 hatten sie beobachtet, dass der Oberkammerdiener an die Mauer seines Gartens in der Nähe seines Prager Hauses eine Szene aus den Fabeln des Äsop malen ließ. Die Darstellung der Geschichte vom Storch und dem Wolf war mit einer lateinischen Aufschrift ergänzt: »Ingratis servire nefas« (Dem Undankbaren dient kein rechter Mann).62 Ob sich Philipp Lang mit der Gestalt des Storchs identifizierte, der vor den Hinterhalten des Bösen flüchtet, lässt sich nicht sagen. Die Botschafter von Mantua sahen im Oberkammerdiener eher den unersättlichen Wolf, der in ihren Erinnerungen die personifizierten Untugenden der Heuchelei, Gier und Unmäßigkeit darstellte. Dies entspricht dem Bild des kaiserlichen Oberkammerdieners, das im Herbst 1607 aus Prag nach Mantua übermittelt wurde. Ein halbes Jahr später berichteten die Gesandten aus Prag dem Herzog von Mantua mit unverhohlener Freude, dass aus dem Haus des verhafteten Philipp Lang etliche Wagenladungen Kunstgegenstände aus Edelmetallen und kostbare Waffen abtransportiert worden seien.63 Ihre Schilderungen ergänzten die Botschafter von Mantua mit der lapidaren Bemerkung, dass Lang gestohlen hätte.64 Die Nachrichten von der Festnahme, Inhaftierung und den Ermittlungen des einflussreichen Oberkammerdieners durchdrangen das europäische Nachrichtenwesen schnell.65 Während der Ermittlungen wurde Lang im Weißen Turm auf der Prager Burg inhaftiert. Seine Gemahlin schrieb Suppliken an Erzherzog Leopold, weil sie sich nicht nur um das Leben ihres Ehemannes sorgte, sondern auch einen Teil ihres gemeinsamen Vermögens retten wollte. Der Wert der beschlagnahmten Kunstgegenstände in Langs Prager Haus wurde letztendlich auf 200 000 Gulden geschätzt. Ihr Verkauf sollte zur Begleichung seiner Schulden dienen. Im Laufe der Ermittlungen beschloss Rudolf II. Anfang November 1609 die Beschlagnahmung der Herrschaft Igling in Schwaben, deren Besitzer Lang war, und widmete sie seiner illegitimen Tochter Karolina d’Austria als Hochzeitsgeschenk.66 Der inhaftierte Lang wandte sich mit Suppliken um Gnade durch den Kammerdiener Hans

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