Leseprobe

I 380 Ein Fallbeispiel: die Familie Schlick noch lange erhalten. Das verdeutlicht zum Beispiel seine Erwähnung und Abbildung als einen, »den das glück und auch sein geschicklichkeyt also erhebt hat, das er (das vormals unerhört was) dreyer nach einander regirender römischer könig cantzley verweser gewest ist«, in der 1493 erschienenen Weltchronik des Hartmann Schedel.4 Die von der Person dieses spektakulären Aufsteigers ausgehende Faszination wird zusätzlich noch davon unterstrichen, dass er von einem späteren Papst zur – zwar nicht namentlich genannten, aber dennoch deutlich identifizierbaren – Hauptfigur in einem bis heute breit rezipierten Liebesroman mit erotischer Handlung gemacht wurde. In seiner 1444 entstandenen Geschichte De duobus amantibus historia (Euryalus et Lucretia) setzte Enea Silvio Piccolomini (1405–1464), nachmaliger Papst Pius II., seinem einflussreichen Freund und Förderer in der Kanzlei König Friedrichs III. ein ungewöhnliches Denkmal.5 Die zeitgenössische Popularität der Geschichte zeigt sich auch darin, dass Kaspar Schlick in der fiktiven Gestalt des Euryalus dann sogar ein zweites Mal mit einem Bildporträt in der Schedelschen Weltchronik von 1493 auftaucht.6 Neben der markanten Karriere des Kaspar Schlick gibt es ein zweites bedeutendes Themenfeld, mit dem sich die Familie Schlick einen Platz in der Geschichtsschreibung gesichert hat: ihr beeindruckender Erfolg im Zusammenhang mit dem Silberbergbau während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Damit eng verbunden waren die Gründung der erzgebirgischen »Wunderstadt« St. Joachimsthal (Jáchymov) im äußersten Westen Böhmens sowie die Prägung der ersten Talergroschen ebendort (Abb. 2).7 Als der junge Graf Stefan (1487–1526) aus der Schlackenwerther Linie der Schlick im Jahre 1516 mit Unterstützung eines Konsortiums aus vermögenden böhmischen Adeligen sowie sächsischen Geldgebern und Fachleuten auf dem vielversprechenden Gebiet des verlassenen Erzgebirgsdorfes Konradsgrün den Silberbergbau aufnahm, gab er damit den Anstoß zu einer der spektakulärsten Stadtentwicklungen des 16. Jahrhunderts in Mitteleuropa. Die Erzvorkommen des neuen Bergbaureviers erwiesen sich als so ergiebig, dass dorthin bald ein großer Zustrom von Bergleuten, Händlern und allerlei Glücksrittern einsetzte. Innerhalb kürzester Zeit wuchs die Bevölkerung des kleinen provisorischen Ortes, dem der Name St. Joachimsthal verliehen wurde, sprunghaft an: 1521, also nur fünf Jahre nach Gründung, war er bereits eine verhältnismäßig große Stadt mit ca. 6 000 Einwohnern. Zwölf Jahre später sollen es schon 18 000 Einwohner gewesen sein. St. Joachimsthal war damit zu jener Zeit die nach Prag zweitgrößte Stadt Böhmens und mit Abstand die größte des Erzgebirges. Es blieb zwar zunächst eine wilde Ansammlung von schnell errichteten Wohnhäusern und Erzgruben, aber der Ort besaß den einzigartigen Reiz einer großen Aufbruchsstimmung, die anziehend für Menschen verschiedenster Herkunft und Haltung war. St. Joachimsthal entwickelte sich dadurch zu einem Zentrum von Kunst, Kultur und Bildung – aber auch zu einem Schauplatz religiöser und sozialer Auseinandersetzungen. Für die Grafen Schlick, vor allem für die Schlackenwerther Linie der Familie, brachte der Erfolg ihrer Unternehmungen einen atemberaubend raschen Reichtum, wobei ihnen auch die außergewöhnliche Erteilung eines königlichen Münzprivilegs durch einen Landtagsbeschluss im Jahr 1519 half. Die darauffolgende Prägung von Guldengroschen nach sächsischem Vorbild, aber mit böhmischem Münzrecht, in St. Joachimsthal brachte den Schlick zudem eine erhebliche Prominenz in ganz Mitteleuropa ein. Die nach ihrem Herkunftsort benannten »Taler« wurden über den bedeutenden Handelsplatz Leipzig millionenfach verbreitet – sie alle trugen unübersehbar das Schlick-Wappen auf dem Revers. Der St. Joachimsthaler Stadtherr Graf Stefan Schlick sah das riskante Engagement seiner Familie im kostspieliAbb. 2 St. Joachimsthaler Groschen (sog. Talergroschen oder Taler) der Grafen Schlick, Revers mit dem Schlick-Wappen. Kopie nach dem Original von 1525 (Foto: open source/Berlin-George)

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1