Leseprobe

I 382 Ein Fallbeispiel: die Familie Schlick tes, das im Zuge der Kolonisation überwiegend von deutschen Siedlern urbar gemacht worden war.11 Im 13. Jahrhundert etablierten die böhmischen Könige aus dem Haus der Přemysliden um die Burg über der königlichen Stadt Elbogen an der Eger (Ohře) ein umfangreiches Lehnssystem, mit dem der Adel der Region rechtlich und dienstlich eng an das Herrschaftszentrum gebunden wurde. Durch seine Lehns- und Gerichtsrechte besaß daher der Inhaber der Herrschaft Elbogen, wenn es nicht der König selbst war, hier eine besondere Machtstellung, wie sie andere böhmische Adelige in ihren Herrschaften nicht erreichen konnten. Zudem bildete der Elbogener Kreis ein verhältnismäßig großes Verwaltungsgebiet, das rechtlich nach außen hin nahezu abgeschlossen war und daher einen gewissen Keim zur Verselbstständigung in sich trug. Für ambitionierte Adelsfamilien musste die Herrschaft über ein solches Gebiet, und sei es nur als Pfandherrschaft, äußerst reizvoll sein. Mit der Verwaltung dieses zukunftsträchtigen Pfandbesitzes betraute Kaspar Schlick seinen jüngeren Bruder Matthes (auch Mathes/Matthias/Matheus, um 1400–1487), der jedoch bald – unter Zurückdrängung der Rechte der Erben Kaspars – die Herrschaft für sich und seine Nachkommen beanspruchte.12 Allerdings erwies sich die dauerhafte Sicherung Elbogens für die Familie Schlick zunächst als äußerst problematisch. Die attraktive Pfandherrschaft wurde ihr von neidischen Nachbarn aus dem böhmischen Hochadel streitig gemacht. Aber auch die Bürger von Elbogen und die Lehnsmannschaft des Elbogener Kreises widersetzten sich mehrfach gewaltsam oder durch Gerichtsklagen vor König und Landrecht von Böhmen ihrem zunehmenden Herrschaftsdruck.13 Bei all diesen Schwierigkeiten spielte die Tatsache, dass die Schlick nur Pfandherren und nicht erbliche Eigentümer der Herrschaft Elbogen waren, offensichtlich die wichtigste Rolle. Darüber hinaus waren sie zunächst kaum in die böhmische Adelslandschaft integriert und wurden insbesondere wegen ihrer guten Verbindungen nach Sachsen in Böhmen mit Misstrauen betrachtet. Und nicht zuletzt wurde auch ihre Herkunft, also ihr allzu rascher Aufstieg aus dem Egerer Bürgertum, und – daraus folgend – ihr zweifelhafter, noch junger hochadeliger Rang, als besonderer Makel empfunden, der sie angreifbar machte. Als Aufsteiger und Außenseiter standen die Schlick ab der Mitte des 15. Jahrhunderts vor der großen Herausforderung, ihren erreichten Rang und Besitz zu bewahren und für die nachfolgenden Generationen dauerhaft zu sichern. Es stellt sich also die Frage, auf welche Weise die Erben und Nachkommen des Kaspar Schlick dieser Herausforderung begegneten. Im Folgenden soll daher verschiedenen Strategien der Familie nachgegangen werden, die der Wahrung von Rang und Herrschaft dienten: ihre innere Organisation mittels Haus- und Erbverträgen, die Schaffung und Inanspruchnahme eines tragfähigen verwandtschaftlichen Netzwerkes sowie ihr Streben nach dem Schutz benachbarter Fürsten, besonders der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen.14 Zuerst aber soll die Repräsentationskultur der Familie knapp betrachtet werden, weil zu erwarten ist, dass sich in ihr das Selbstverständnis der Schlick sowie ihr herrschaftlicher Anspruch besonders deutlich widerspiegelte. Rang und Memoria: Spuren familiärer Repräsentation Adeliges Rangbewusstsein äußerte sich zumeist in einer standesgemäßen öffentlichen Repräsentation, etwa durch sichtbare Zeichensetzung beim Ausbau von Schlössern, Burgen und Kirchenbauten, oder bei der Einrichtung dynastischer Memoria über Altarstiftungen und Grablegen.15 Gerade junge Adelsfamilien oder adelige Aufsteiger mit Legitimationsdefiziten setzten nicht selten auf eine Überbetonung dieser Repräsentation, um damit mögliche Makel zu überdecken, Zweifel an ihrem Rang und Vermögen zu ersticken oder eine fiktive ältere Herkunft zu proklamieren. Gelegentlich ging damit ein gesteigertes Mäzenatentum für Kunst und Bildung einher, mit dem – unabhängig vom in der Regel vorauszusetzenden persönlichen Interesse des Mäzens – der eigene adelige Habitus öffentlichkeitswirksam untermauert werden konnte. Die italienische Herkunftslegende Im Hinblick auf die Behauptung ihres hochadeligen Ranges mittels (fiktiver) Herkunftslegenden besaß die Familie Schlick im 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine hervorragende Grundlage. Allerdings bestand diese zum größten Teil nur aus mutmaßlichen Fälschungen von Kaspar Schlick, die er als Kanzler Kaiser Sigismunds und König Friedrichs III. wahrscheinlich 1437 und 1442 angefertigt hatte. So entstand unter anderem vermutlich 1437 ein auf 1422 datiertes Freiherrendiplom König Sigismunds für Kaspar Schlick,

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