Kunstherz ein dramatischer Hingucker. Zum Rezept Photographie à la Alvensleben gehört neben intensiver Vorbereitung und einem perfekten Styling eben auch ein Schuss Zufall! Erste fototechnische Erfahrungen sammelte er Anfang der 1950er Jahre mit einer geschenkten Kodak-Box. Zehn Jahre später fotografierte er Hubert Fichte in Montjustin in der Provence – es entstand eine erste Werkserie mit erzählerischem Charakter. Noch prägender waren die Erfahrungen in Mozambique: 1962 war mein Onkel Werner in Hamburg und fragte: Warum kommst du nicht nach Afrika? Ich war dann zwei Jahre bei ihm in Safarilandia. Dort habe ich alles dokumentiert, Großwildjäger und sterbende Tiere fotografiert. Das hat mich sehr verändert. In der späteren Veröffentlichung der Aufnahmen als DIE SPUR DES LEOPARDEN beschrieb Christiane Breustedt: Dieses Sterben – diesen ‚ersten Tod‘ für ihn selbst – fing Alvensleben mit der Kamera ein. Dabei ging er auf Distanz zu der sinnlosen Agonie der wundervollen Tiere, der Perversion der Jagden. Er portraitierte die reichen Jäger im Moment ihrer zweifelhaften Triumphe. Das Studium an der London Polytechnic School of Photography and Cinematography war dann schlicht zu langweilig für einen Fotografen, der sich bereits ganz anderen Herausforderungen gestellt hatte. Die anschließende Assistentenzeit bei Khan hingegen verlangte ihm in der Vielseitigkeit im Styling und in der Bildkomposition alles ab, bis dieser ihm abschließend den Rat erteilte: Werde ein Kreativer, ein Art Director! Bereits vor seinem Afrika-Aufenthalt traf Christian von Alvensleben im Salon seiner Mutter auf Künstler, Designer, Verleger und die Fotografen F. C. Gundlach, Charlotte March und Reinhart Wolf. Folgerichtig begann seine Karriere schließlich 1968 mit einem eigenen Studio in der Langen Reihe in Hamburg-St.Georg – unterstützt von Rudolf Augstein –, und bereits 1965 war ihm mit einem Portrait der Familie Wagner, ganzseitig in der französischen VOGUE abgedruckt, der Durchbruch gelungen. Es folgten 40 Jahre Food und Fashion, Still Life und Lifestyle, People und Nude, Advertising und Editorial für ARCHITEKTUR & WOHNEN, STERN, SPIEGEL, VANITY FAIR, VOGUE und viele andere. Es war Fotografie auf höchstem technischem und ästhetischem Niveau, ein Feuerwerk des Artifiziellen und des schönen Scheins. Gemeinsam reiste das Paar um die Welt, ihre Auftraggeber waren voller Vertrauen in ihre Kreativität, die Arbeitsbedingungen verschwenderisch: Für ein einziges Motiv flog man nach Hawaii, und wenn auf einer unbewaldeten Karibikinsel eine Palme benötigt wurde, ließ man sie mit dem Hubschrauber anliefern. In DAS APOKALYPTISCHE MENU von 1992 machte Christian von Alvensleben seine Zweifel am Lauf der Welt dann erstmals deutlich sichtbar. Der tote Hase ist hier kein respektvoll arrangiertes Wildbret mehr, sondern Roadkill, die Cola wird nicht mehr als cooler Drink an Bord einer Düsenmaschine gezeigt, sondern als Zivilisationsmüll in der Gosse. Als kreativer Augenöffner wurde das APOKALYPTISCHE MENU vom deutschen Art Directors Club mit dem Grand Prix ausgezeichnet. Seitdem sind freie thematische Werkserien im gemeinsamen Schaffen von Christian und Helga von Alvensleben immer wichtiger geworden. Seit 2006 widmen sie sich ausschließlich konzeptuellen Serien, die von der staunenden Begegnung mit den elementaren Bausteinen der Natur zeugen. Auf der Suche nach der visuellen Kraft des Authentischen reisen sie an extreme Orte, wo die Kraft der Elemente jede Manieriertheit hinwegfegt. Ihre Bilder betonen ohne mahnenden Zeigefinger, doch deutlich sichtbar, die Verantwortung der Menschheit für einen respektvollen Umgang mit den Ressourcen der Erde. Doch zurück zur Bildauswahl: Der Bildteil des vorliegenden Bandes eröffnet mit einem kecken Ei. Als klassisches Sujet der Fotografie wird es hier mit modischem Esprit interpretiert: Es trägt eine feine Daune wie ein Hütchen, so weit in den Nacken geschoben, dass es herabzufallen droht. Diese Art kreativer Leidenschaft, gewürzt mit etwas Humor in der Inszenierung, prägt die Motive des Kapitels Stilles Leben. Die Dinge, die wir fotografieren, verdienen alle Respekt, erklärt Christian von Alvensleben. Diese intensive Auseinandersetzung mit arrangierten Objekten und Menschen in Mode und Lifestyle setzt sich in den Kapiteln Stil und Zu Tisch fort. Hier treten Einflüsse aus Kunst und Architektur zutage, ebenso wie subtile Kommentare zur gesellschaftlichen Realität – mal so offensichtlich wie im Bildnis eines Caravaggio-Jünglings mit Früchtestillleben, mal subtiler, etwa in der Spiegelung einer US-Flagge im silbernen Geschirr und der symbolisch dazu vergossenen Milch. Neben der makellosen Gestaltung von Szenerie, Bildgegenstand und Styling zeigt sich einer der wesentlichen Kunstgriffe des Fotografen: die Vergegenwärtigung des Mediums selbst. So bricht das Styling bewusst die Illusion, wenn etwa Designobjekte von Richard Sapper auf Hintergrundpapier angeordnet sind, das Papier aber als Material ins Bild tritt, indem es geknickt, geknüllt, zerrissen ist. Noch einmal wird das Spiel mit Objekten und ihrer Inszenierung im Kapitel Genuss mit Respekt aufgegriffen. Zwischen Jagdstillleben und Memento Mori angesiedelt, wird beispielsweise der elegante Fuß einer Ente mit fein gezeichneten Schwimmhäuten und wie schwarz lackierten Krallen gezeigt – zur Reifung abgehängt als Wildbret für den Entenbraten. Auch die goldenen Schuppen des Karpfens werden im Kochtopf enden, nur der Hummer zerbeißt in einer Art Revolte gegen das Weihnachtsmenü eine Christbaumkugel. Ganz anders die Motive im Kapitel Land und Leute. Beginnend mit den Bauten im Gartenreich Wörlitz, den uralten Götter-
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