bäumen der Olivenhaine auf Rhodos und den tosenden Atlantikwellen vor der Steilküste Portugals, finden sich hier serielle Arbeiten zu Landschaften und ihren Bewohnern. Der Mensch tritt in Gestalt der Wilden Männer von Archangelos auf Rhodos hinzu, die mit Ruß und Mehl, mit Lehm und Öl, mit Joghurt und Fisch verschmiert tanzen und die Zyklen ländlichen Lebens ehren: Geburt, Tod und Auferstehung, Saat und Fruchtbarkeit. Das Kapitel schließt mit Bildern aus den verfallenden Salinen bei Margherita di Savoia, wo zerbroche Stahlkonstruktionen alter Maschinen in starkem Kontrast gegen die strahlend weißen Salzhügel aufragen – ein Spiel von Form und Textur, von Verfall und zeitloser Schönheit. Unter der Überschrift Gesichter sind intensive Portraits von Menschen versammelt, die dem Fotografen etwas bedeuten, die ihn bewegt haben – Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Politik, aber auch Biker, Boxer und Zufallsbekanntschaften. In diesen Portraits spürt man die intensive Verbindung zwischen dem Fotografen und seinem Gegenüber. Ich bin sehr dankbar, interessante Menschen unterschiedlichster Herkunft und mit verschiedensten Fähigkeiten in ihrem ganz eigenen Umfeld getroffen zu haben, sagt er. Auch wenn die Begegnung flüchtig war und der Moment der Aufnahme vielleicht nur eine Achtelsekunde dauerte: Es bleibt etwas zurück. Beide Lebenslinien haben ihre Richtung geändert, wie die Flugbahnen zweier Himmelskörper im Vorbeiflug durch die Wechselwirkung der Kräfte verändert werden. Ein Bild etwa zeigt die Füße von Dariusz Michalczewski beim Seilspringen. Schwebend, beinahe schwerelos, und doch Ausdruck rigorosen Trainings. Ich habe beobachtet, dass das Seil, das durch die Geschwindigkeit fast unsichtbar war, unten, wenn es den Boden berührte, für den Bruchteil einer Sekunde stillstand – das war das Bild, das wollte ich einfangen, erinnert sich von Alvensleben. Als Orte der Dichter haben Christian und Helga von Alvensleben drei Bildstrecken zusammengestellt: Die Portraits von Hubert Fichte in Montjustin zeigen ihn bei der Feldarbeit. Auf einem Bild trägt er ein Lamm in den Armen – es ist ein Sinnbild der Selbstfindung und des arkadischen Lebens. Albert Camus’ letzten Wohnort Lourmarin zeigt Christian von Alvensleben, als sei die Zeit stehengeblieben, als sei Camus gerade erst gegangen. Lanzarote schließlich, die Isla Negra, die Rafael Arozarena in seinen Roman MARARÍA verewigte, wird in harten Kontrasten gezeigt, es ist eine respektvolle Annäherung an die Lebensumstände, die sich tief in die Gesichter der Insel und ihrer Bewohner eingezeichnet haben. Gebrochen wird die ästhetische Faszination durch die Werkserien des abschließenden Kapitels Die Erde und der Mensch, welche die drohende Zerstörung von Umwelt und Natur und den Verlust traditioneller Lebensformen ins Bild setzen. Darunter beispielsweise die Bilder des Ältestenrats der Hopi in Arizona. Christian war ein aufmerksamer Zuhörer und in der Lage, seinen Protagonisten zu zeigen, dass sie ihm wichtig waren, erinnert sich Claus Biegert an die gemeinsame Reise im Jahr 1977. ALL INCLUSIVE thematisiert die Folgen des Massentourismus auf Rhodos – leerstehende Kapellen und verlassene Karussellfiguren wirken wie Symbole einer ausgelaugten Welt. Ähnlich kritisch greift die Serie MEERESFRÜCHTE die Verschmutzung der Meere als zentrales ökologisches Problem auf, während ILLUSION den ausgetrockneten Guadalcacín-Staudamm in Andalusien als Exempel der Folgen der Klimaveränderung einfängt – eine Landschaft, die von Schönheit und Verlust gleichermaßen erzählt. Besonders eindrucksvoll sind die szenischen Portraits des Butoh-Tänzers Mitsutaka Ishii. Sein Tanz mit einem Ei und einem Fisch zelebriert eine Würdigung der Nahrung als Verinnerlichung. In über 60 Jahren hat Christian von Alvensleben ein fotografisches Werk geschaffen, das längst Einzug in Galerien und Museen gehalten hat. Geehrt wurde er 2009 unter anderem vom deutschen Art Directors Club für sein Lebenswerk und mit der Ehrenmitgliedschaft im Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter (BFF). Beide Verbände ehren in ihm den Fotografen als Designer. Das ist insofern passend, als Christian von Alvensleben in seinem fotografischen Schaffen gemeinsam mit Helga von Alvensleben nach dem Eigenständigen, dem erfrischend Neuen gesucht hat. Für jeden Auftrag einen neuen Look zu erfinden, war ihre Maxime. Jürgen Petermann beschreibt ihn in einem unveröffentlichten Text: Ein ästhetischer Chronist des Zeitgeschehens, einer, der sich einlässt auf die unaufgelösten Widersprüche der Gesellschaft, erschütterbar und auf Gerechtigkeit pochend. Für Christian von Alvensleben selbst ist es ganz einfach: Fotografie ist mein Leben und mein Leben ist Fotografie.
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