Leseprobe

38 Glasschuber in Gabelkonstruktion – eine außergewöhnliche Münzpräsentation Iris Kolomaznik Einleitung Zwei Münzsammlungen mit knapp 1 000 Stücken, ein Münzschrank und »Glasrahmen« sowie ein Tisch mit einem »gabel-förmigen Aufsatze« sind in einem Übergabezettel vom 6. Dezember 1850 aufgelistet (Abb. 1, 4).1 Im Schrank befinden sich tatsächlich fünf stark von üblichen Münzfächern in offener Kastenform abweichende Fächer – mit Glasboden und Glasabdeckung (Abb. 1, 3). Im Staatshandbuch des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach von 1874 ist innerhalb einer Aufzählung von in der Weimarer Bibliothek befindlichen Gegenständen vermerkt, dass ca. 800 numismatische Objekte als Geschenk von Zar Nikolaus I. von Russland (1796–1855) im Jahr 1846 dort angekommen waren. Damit sind die 852 Stücke gemeint, die im Übergabebeleg von 1850 aufgelistet sind. Hypothetisch ist zu rekonstruieren, dass jeder Glasschuber vertikal in einer nicht mehr erhaltenen Gabelkonstruktion auf einem ebenfalls verlorenen Tisch präsentiert werden konnte. Die Steckverbindung zwischen Schuber und Gabel bildeten der bolzenförmige Schubergriff aus Metall und ein Loch an der gegenüberliegenden Rahmenseite. Ein solches Gestell mit Glasrahmen ist bisher einmalig.2 Möglicherweise war diese Form der Präsentation nur eine begrenzte Zeit lang in Nutzung, denn die Namen der Dargestellten und Stücknummern auf den mit blauem Papier ausgeklebten Tablaren sind nur dann gut zu lesen, wenn das Fach liegt. Vertikal gestellt hingegen erscheinen Avers und Revers korrekt, die Objektnummern stehen jedoch auf dem Kopf. Zu vermuten ist deshalb, dass die Beschriftungen nicht zu den ursprünglichen Glasschubern gehörten. Sie wurden vermutlich in einer Zeit aufgebracht, als nicht mehr das Präsentieren der Stücke, sondern eher das Bewahren relevant und der Präsentationstisch mit dem Gestell einschließlich des Wissens um seine Funktionsweise verloren gegangen war, möglicherweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder in den Jahrzehnten nach dem Tod der Großherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar-Eisenach (1786–1859). Aufbau der Glasschuber Die Schrankfächer sind dreilagig geschichtet. Die holzgerahmten Scheiben drücken die Stücke jeweils an ihren Platz, wodurch der Schuber vertikal gestellt werden kann. Eine kräftige Metallspange hält die drei Lagen zusammen. Aus dieser Spange ragt als Schubladen-Knauf ein Metallbolzen von etwa einem Zentimeter Durchmesser und knapp zwei Zentimeter Länge heraus. Die Griffe der fünf Glasschuber ähneln nicht den zarteren anderen Schubladen-Knopfgriffen im Schrank. Der Bolzen in seiner Metallspange setzt sich auf der Glasscheibe mittels eines schmalen Holzstegs auf der Grenze der zwei Glashälften fort, womit das Ganze stabilisiert wird. Der Rahmen ist an einer Ecke mittels einer Schraube zu öffnen, sodass das Tablar auch entnommen werden kann. Die Glasschuber hatten demnach eine Wechselrahmen-Funktion. Jedoch müssten die einzulegenden Wechselstücke exakt dieselbe Höhe und Ausmaße haben. Ob dies nur eine der Konstruktion eingeschriebene Idee war oder auch in der Praxis Anwendung fand, bleibt offen. Nicht nur im Münzschrank, sondern generell sind diese fünf Glasrahmen, wie erwähnt, einzigartig. Durch die Ereignisse 1846 und 1850 ist die Zeitspanne für die Fertigung des Schrankes nun erstmals bestimmbar. Da er direkt für die Zusammenführung der zwei Kollektionen angefertigt worden zu sein scheint, ist seine Herstellung in Weimar beziehungsweise der Region anzunehmen.3

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