52 Dynastiegeschichte(n) Teil 1 – 16. Jahrhundert · 1 · Brakteat von Friedrich II. Graf von Beichlingen 1189–1217 • Silberlegierung • Gewicht: 0,827 g • Durchmesser: 46,9 mm • Stempelstellung: keine Vs: Reiter mit Adlerschild, Schwert und Fahne nach links; Umschrift: CONES / FRIDE / RI / CVS Rs: Negativ der Vorderseite Inventarnummer: MM-2022/215 Alte Inventarnummer: ohne Nummer Provenienz: 1700 mit der Sammlung Haugwitz erworben; gestohlen durch Ernst Hellmuth von Bethe vor November 1924, im Dezember 1924 beschlagnahmt und restituiert. Literatur: Franck 1723, Tab. I.3; Inventar Catalogus 1770–1783, Bd. Num. Minores, S. 3; Leschhorn 2015, Bd. 2, S. 876, Nr. 4367; (zu Schlegel und Franck sowie diesem Stück als Beispiel) Mulsow 2018, bes. S. 180–181; Mulsow 2023, S. 264–287, bes. S. 270 Am Anfang dieses Katalogs steht ausgerechnet keine Münze der Frühen Neuzeit, sondern des Mittelalters, die aber zugleich eine Antwort auf eine grundsätzliche Frage der Frühen Neuzeit gibt: Warum lohnt es sich, Münzen zu sammeln? Wilhelm Ernst Tentzel hatte darauf eine klare Antwort, als er Herzog Wilhelm Ernst (1662–1728) von Sachsen-Weimar das Anlegen eines Münzkabinetts empfahl und ihm den Ankauf der Sammlung Haugwitz im Jahr 1700 vermittelte: als historische Quellen und Belege adliger Abkunft. Herkunft und Verwandtschaft waren der Grundpfeiler adliger Herrschaft – je länger eine Ahnenreihe war, desto höher der Rang, den jemand beanspruchen konnte, und je weiter verzweigt eine Familie, desto mehr Ansprüche auf Land und Titel, die jemand stellen konnte. Ohne Belege war das nicht glaubhaft. Dass insbesondere Münzen solche Belege sein konnten, als möglichst authentische, unverfälschte Quelle der Abkunft, war zu Ende des 17. Jahrhunderts eine verbreitete Ansicht und Tentzels Kernargument, Münzen und Medaillen zu sammeln. Tentzel war Teil eines Netzwerks an Gelehrten, die Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts intensiv sächsisch-dynastische Geschichte anhand von Münzen und in engem Austausch miteinander erforschten. Dazu zählten Christian Schlegel (1667–1722), von 1700 bis 1712 in Arnstadt tätig und dort mit einer herausragenden Münzsammlung befasst, und Salomo Franck (1659–1725), bekannt als Dichter der Texte, die den meisten von Johann Sebastian Bachs Kantaten zugrunde lagen, und ab 1701 tätig in der Weimarer Bibliothek. Die Sammlung Haugwitz, mit der das Münzkabinett begründet worden war, kannten alle drei. Schlegel hatte möglicherweise für Haugwitz bereits daran gearbeitet, eine sächsische Münzgeschichte anhand von dessen Sammlung zu veröffentlichen, dann aber das Projekt durch Haugwitz’ Rückzug aus der Öffentlichkeit abgebrochen. Die dafür bereits angefertigten Kupferdrucktafeln zur Bebilderung gelangten dann vermutlich nach Weimar und zu Salomo Franck, der hier die Sammlung Haugwitz im Kabinett betreute. Unmittelbar nach Schlegels Tod im Jahr 1723 veröffentlichte Franck dann aus dem Kabinett eine Auflistung von vor allem mittelalterlichen Münzen zusammen mit einem Abdruck von Abbildungen, die offenbar aus dem abgebrochenen Projekt Schlegels stammten. In einem der Inventare des Münzkabinetts, dem um 1768 begonnenen Inventarium, wird der Vorgang noch einmal in einem Vorwort rekapituliert, bevor die Brakteaten im Kabinett, darunter der hier abgebildete, nach der Ordnung von Franck aufgelistet werden. Mittelalterliche Münzen boten die Chance, als historische Quellen aus einer Zeit gelesen zu werden, aus der sonst nur bruchstückhafte oder gar keine Textquellen überliefert worden waren. Mit ihnen konnten also möglichst weit zurückreichende dynastische Abfolgen rekonstruiert werden – vorausgesetzt, die Münzbilder und ihre Umschriften wurden richtig entziffert und gedeutet. Bei dem vorliegenden Stück handelt es sich um einen Brakteaten, eine aus dünnem Silberblech geprägte Münze, aus der Sammlung Haugwitz. Sowohl Schlegel als auch Franck versuchten sich an ihrer Identifikation, waren sich aber nur annähernd einig, ein Objekt des 12. Jahrhunderts vor sich zu haben. Mit der geringen Information, die nur einen Grafentitel über die lateinische Bezeichnung »COMES«, hier mit »n« geschrieben, und den Namen Friedrich lieferte, kamen verschiedene Dargestellte in Betracht. Schlegel tippte auf einen Pfalzgrafen von Sachsen, Franck auf einen Grafen von Brehna, Sohn von Konrad I., Markgraf von Meißen. Der Platz in einer Übersicht sächsischer Titelinhaber und Verwandtschaftsverhältnisse wäre also deutlich unterschiedlich ausgefallen. Heute wird die Münze Graf Friedrich II. von Beichlingen (gest. 1216) aus einem thüringischen Adelsgeschlecht zugeschrieben. SD
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