34 • 35 Begriffsetiketten versehenen Schubladen von Wissenschaft, Markt und Kunstbetrieb zumeist folgenlos abgelegt wird. Aus diesen findet Tichas Kunst viel zu selten ans Licht der öffentlichen Wahrnehmung – wie gerade in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, wo das Gemälde Deutsches Ballett ➊ in der temporären Sammlungsausstellung Zerreißprobe ganz selbstverständlich seinen Platz behauptet1 oder in der aktuellen, von Adina Christine Rösch kuratierten Ticha-Ausstellung Kugel · Kegel · Körperkult im Museum Lyonel Feininger. Wer sich über Hans Ticha informiert, kommt nicht daran vorbei, dass sein Werk mit den Primärkonzepten des Bauhauses in Verbindung gebracht wird. Insbesondere spricht die unleugbare Inspiration, die sein varianzreiches Schaffen etwa durch den bildnerischen Kosmos von Oskar Schlemmer erhielt, in der Tat für eine intensive Beschäftigung. Die bei Ticha zu besichtigende Reduktion der Grundfigur und deren Auflösung in geometrische Formsegmente – vom Zeichner Herbert Sandberg als ironisch durchwirkter »Kugelismus«2 bezeichnet – muss aus dieser Perspektive als ein spätes Echo auf die Leistungen der Moderne wirken. Oskar Schlemmer thront dabei wie ein Hausgott über allem, vor allem mit seinem Modell des »Differenziermenschen« (Ina Conzen), mit dem er, so wie Jahrzehnte später Hans Ticha, »schematisierte, die menschliche Figur flächenhaft an Achsenkreuzen und Diagonalen ausrichtende Arbeiten«3 schuf, die dann im Triadischen Ballett ihren grandiosen Auftritt erlebten. Im gleichen Atemzug wie die Inspiration durch Schlemmer findet auch der Einfluss des russischen Konstruktivismus als schöpferische Quelle häufig Erwähnung. Einerseits wird dabei annonciert, dass es vor allem die »suprematistischen Androiden« von Kasimir Malewitsch gewesen seien, die Ticha beeindruckt hätten.4 Andererseits bringt man die erste in der DDR erschienene Monografie über El Lissitzky als Orientierungsquelle in Anschlag, die 1967 im Dresdner Verlag der Kunst erschien – im Übrigen fast zeitgleich zur Aufwertung des Bauhauses, das nach langer Zeit der Verleugnung von staatlichen Institutionen wiederentdeckt wurde, begleitet von einer seinerzeit maßstabsetzenden Publikation von Lothar Lang.5 Ihren Höhepunkt erlebte die Renaissance des Bauhauses im Dezember 1976, als zum 50-jährigen Bestehen das rekonstruierte Gebäude des Bauhauses in Dessau mit einem Staatsakt in ursprünglicher Gestalt wiedereröffnet werden konnte und sich angereiste Bauhäusler wie Max Bill ganz selbstverständlich in das offizielle Gruppenfoto einreihten. Fast zu einem Running Gag der TichaRezeption gerät aber seine zum Hauptargument der Einordnung werdende Prägung durch die westliche Pop-Art. Abwechselnd werden in diesem Kontext Willy Wolff, der im Nachklang zweier England-Reisen schon ab Mitte der 1960er-Jahre mit Strukturelementen der Pop-Art in der DDR experimentierte, der hallesche Maler Wasja Götze (mit Sohn Moritz), dem vor allem die britische Variante nahe steht, oder eben der Ost- Berliner Hans Ticha als die jeweils »einzigen Pop-Art-Maler« der DDR bezeichnet.6 Die ostdeutschen Maler werden dabei zu revolutionären Epigonen erhoben, die hinter der Mauer nur das nachvollzogen hätten, was im Westen ohnehin den Ton angab. Außer Blick gerät dabei, dass Ticha in der DDR (fast) keine Chance auf die direkte Begegnung mit Originalen hatte. Erst durch den Aachener Unternehmer und Kunstsammler Peter Ludwig, der in der Honecker-Ära eine wesentliche Figur des deutsch-deutschen Kulturtransfers wurde, waren seit 1977 vereinzelt Werke in extra eingerichteten Leihgaben-Kabinetten im Alten Museum in der DDR zu sehen. Mit dieser Trilogie entfachter Leidenschaften, die Tichas künstlerische Nähe zu Bauhaus, Konstruktivismus und Pop-Art auf die Bühne der Kunstbewertung stellt, scheint im Prinzip alles geklärt. Das Werk dieses ostdeutschen Malers wird somit zu einer Mixtur nachvollzogener Adaptionen, deren Faktizismus von Rezension zu Rezension, von Katalogbeitrag zu Katalogbeitrag ungeprüft weitergetragen wird. Seine originäre Leistung scheint dann vor allem im eigenwilligen Mischungsverhältnis der beschriebenen Einflüsse zu stehen: »Destilliert zu einem eigenwilligen Bildkosmos aus dem russischen Konstruktivismus eines Malewitsch und dessen Lubok-Figuren, aus dem optimistischen Konstruktivismus des Franzosen Léger, aus den Bauhausfigurationen Oskar Schlemmers und der amerikanischen Pop-Art etwa Roy Lichtensteins.«7
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