Leseprobe

bildern der Berliner Schule, etwa aus der Hand von Horst Zickelbein (Die Berliner Schule I–III, 1976), sucht man Hans Ticha vergeblich. Nur zufällig gerät dieser im Kunstmilieu des Prenzlauer Bergs der 1970er- und 1980er-Jahre, etwa in den Ateliers um den Kollwitzplatz oder bei den Aktionskunst-Ereignissen in der Sredzkistraße 64, vor das Objektiv der zahlreich anwesenden Fotografen. Ein Gruppenbild gibt aber doch einigen Aufschluss über Tichas Position innerhalb der Ost-Berliner Malerszene. Die Fotografie zeigt ihn 1982 an einem Ort, der im Widerspruch zu seinem damaligen Status steht: in der Ost-Berliner Nationalgalerie, dem ersten Haus der Kunst. Es ist ein verkrampft wirkendes Gruppenbild von damals bereits bekannten, teils im DDR-Kunstsystem hoch arrivierten Berliner Malern ➌. Das Foto stammt von Helga Paris und zeigt die besten der ehemaligen Studenten, die sich um Kurt Robbel (1909–1986), ihren einstigen Lehrer an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, versammelt haben, weil sie mit ihm eine Ausstellung ausrichteten, die Kurt Robbel und seine Schüler hieß.13 Im Übrigen kaufte die Nationalgalerie aus dieser Ausstellung gleich zwei Werke von Hans Ticha an – die Studentenarbeit Schubboot (1966) sowie seine bereits mit typischer Farbflächendynamik proportionierte Fischverkäuferin (1975). Die Begegnung mit Kurt Robbel war im Rückblick einer der wenigen Lichtblicke während seiner Studienzeit. Ticha, Jahrgang 1940, geboren im heute tschechischen Tetschen-Bodenbach und von dort mit seiner Mutter und Schwester vertrieben, worüber man in der DDR nicht öffentlich sprach, hatte zunächst Kunstpädagogik in Leipzig studiert und danach einige Jahre an einer Schule in Lindenthal unterrichtet, bevor er 1965 zum Studium der Malerei an die Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee kam. Bei Robbel lernte Ticha, erinnert sich dieser, Bilder bauen, Farbflächen setzen und dem wohlfeilen Zeitgeist ein Schnippchen schlagen. Ansonsten war da nicht viel in dem Gebäude, das, vom ehemaligen Bauhäusler Selman Selmanagić entworfen, eigentlich eine 1956 fertiggebaute Polytechnische Oberschule war. Sie strahlte in den 1960er-Jahren statt produktiver Gattungssynergien im Sinne einer Bauhaus-Renaissance eher eine »kleinbürgerliche Atmosphäre« (Hans Ticha) aus. Pointiert sprach der Künstler deshalb über seine Studienjahre: Er habe nicht bei den Professoren um Ulbrichts Lieblingsmaler Walter Womacka studiert, sondern allenfalls beim Ehepaar Geisler, den Betreibern der Hochschulkantine. Natürlich war die Ost-Berliner Hochschule trotzdem weit wichtiger als es die anekdotische Zuspitzung auszudrücken vermag. Die Anpassung an die DDR-Kunstpolitik erzeugte immer auch Freiräume durch Ambivalenz. So war es der ab 1968 auch als Rektor wirkende Womacka, welcher das Geschick des sich bauernschlau gebenden »Staatskünstlers« mit dem wortkargen Habitus des für die Kunsthochschule wichtigen Patrons verband, der dafür sorgte, dass Hans Ticha aufgrund seiner erwiesenen Talentproben sofort ins zweite Studienjahr versetzt wurde. Im Übrigen war es auch Womacka, der dem rebellischen Ausnahmetalent Einar Schleef nach seiner Relegation aus der Malerei-Klasse wieder die Aufnahme an der Hochschule ermöglichte ➍. Kurt Robbel und Schüler ➌ Neue Nationalgalerie, Ost-Berlin · 1982

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