102 • 103 ACR Herr Ticha, Ihr Werdegang zeugt von beeindruckender Vielseitigkeit. Bevor Sie sich vollständig der Kunst widmeten und an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee unter renommierten Professoren wie Arno Mohr, Klaus Wittkugel, Werner Klemke und Kurt Robbel studierten, gingen Sie zunächst einen anderen Weg: Sie beschäftigten sich mit Pädagogik in Leipzig. Doch irgendwann muss die Kunst so laut in Ihnen gerufen haben, dass kein anderer Weg mehr infrage kam. Was war der entscheidende Moment? War es eine allmähliche Entwicklung oder ein plötzlicher Funke? HT Nein, nein, das war kein plötzlicher Sinneswandel. Durch die Nachkriegsereignisse kam ich ein Jahr zu früh in die Schule und hatte mit 17 bereits mein Abitur. Ich habe mich damals in Leipzig an der Hochschule umgesehen, aber als Skeptiker war mir schnell klar: Das wird nichts. Man wird da untergebuttert. Die Entscheidung, die Finger davon zu lassen, war wohl richtig. Es gibt so viele Studenten, die fleißig daran arbeiten, genau das zu malen, was ihr Meister möchte. Deshalb entschied ich mich für ein Pädagogikstudium. Ich wusste damals schon, dass ein Zweitstudium noch möglich war. Später hatten einige dieses Privileg nicht mehr. Ich studierte Kunsterziehung und Geschichte an der Karl-Marx-Universität in Leipzig – was im Nachhinein betrachtet gar nicht so dumm war. Nach meinem Militärdienst kam ich nach Berlin-Weißensee, wo ich mein Kunststudium aufnahm, dieses aber im Grunde als Autodidakt abschloss. Ich habe mich zuerst mit Gebrauchsgrafik versucht, weil ich mir nicht sicher war, ob ich wirklich in die Malerei gehen sollte. Denn wer diesen Weg einschlägt, muss sich sicher sein, dass er ihn auch durchhält. Ich wusste, wie schwierig das Leben vieler Absolventen war. Einige haben sogar nach dem Kunststudium noch einmal Kunsterziehung studiert, weil sie für ihre Familie nicht genug Geld verdienen konnten. In Weißensee entschied ich mich schließlich, mich auf Gebrauchsgrafik zu konzentrieren. Die Lehrer hatten ohnehin wenig Zeit für die Studenten. Ich habe mein Diplom gemacht und mich schon währenddessen um Aufträge bemüht. Die 1970er-Jahre waren eine günstige Zeit. Die Debatte um den Formalismus war erst einmal vorbei, und es gab etwas mehr Offenheit. Ich merkte jedoch, dass mich die DDR-Kunst nicht mehr wirklich interessierte. Ich ging nicht mehr in Ausstellungen und kannte die Arbeiten vieler Kollegen nicht – was ich manchmal kaschieren musste, wenn ich sie traf. Es macht doch keinen Sinn, wenn man nicht das macht, was man wirklich will. Mir war klar: Es lohnt sich nicht, nur um der Karriere willen zu malen. Deswegen fand ich in der Illustration eine gute Balance. Vieles war Brotarbeit, aber nicht alles. Merkwürdigerweise hat man mir nie besonders politische Arbeiten angeboten – vielleicht, weil ich eine abschreckende Wirkung hatte. Auftraggeber dachten wohl, das würde nicht gutgehen. Die Berliner Kollegen, mit denen ich zu tun hatte, waren meist tolerant – nicht alle, aber viele. Vor allem die Bildhauer waren da anders. Dennoch hatte ich mit der Illustration keine größeren Schwierigkeiten. Ein Beispiel dafür ist mein Buch Krieg mit den Molchen, in dem eine Abbildung der Mauer enthalten war. Der künstlerische Leiter des Aufbau Verlags wollte das Blatt zunächst herausnehmen, weil es das ganze Projekt gefährden könnte. Doch das Buch lag dann acht Jahre lang herum, weil es nicht vorwärtsging. Selbst die Druckerei drängelte irgendwann auf eine Veröffentlichung. Am Ende blieb die Abbildung der Mauer drin – vermutlich wurde sie vergessen oder jemand hatte doch noch Mut gefasst. Die Mauer war eindeutig zu erkennen, obwohl das Thema in der DDR eigentlich tabu war. Dieses Erlebnis war die einzige Situation, in der etwas hätte schiefgehen können. Aber letztlich erschien das Buch so, wie es gedacht war. Das zeigt, dass es manchmal doch Freiräume gab – wenn auch eher zufällig. ACR Also war es doch eine ganz bewusste Hinwendung zur Kunst? HT Ja schon, denn wie bereits erwähnt, habe ich mich schon während des Studiums mit Gebrauchsgrafik beschäftigt. Der Vorteil dabei war, dass ich mit Rastern in Verbindung kam und diese dann auch relativ früh in meine Bilder einsetzte. Plötzlich, auf einer Messe Anfang der 1970er-Jahre, sah ich Arbeiten von Roy Lichtenstein und stellte erschrocken fest, dass »das Rad schon erfunden war«. Vor Schreck hörte ich mit Rastern auf, kehrte aber später doch wieder zu diesem Verfahren zurück.
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