Leseprobe

14 werfer (Kat. 10). Diese beiden Schöpfungen sind nicht nur durch gleich mehrere Kopien bezeugt, von denen einige annähernd vollständig erhalten sind. In beiden Fällen ist darüber hinaus auch der Bezug zwischen den Kopien und dem jeweiligen Original, das in der römisch-kaiserzeitlichen Literatur Erwähnung gefunden hat, gesichert. Beide Werke geben zudem Aufschluss über ein Alleinstellungsmerkmal von Myrons bildhauerischem Schaffen. Denn hier wie dort lässt sich feststellen, dass Myron daran gelegen war, in seinen Bildwerken Handlungsstränge zusammenzuführen bzw. Handlungsabläufe zu verdichten. Athena steht noch neben Marsyas, obwohl sich dieser erst zu einem Zeitpunkt für das Musikinstrument zu interessieren beginnt, als die Göttin den Schauplatz des Geschehens bereits verlassen hat. Noch eindrucksvoller gelingen Myron Zeitsprünge bei seiner berühmtesten Einzelfigur, dem Diskobol (Abb. S. 62). Auch wenn der Athlet im Rahmen der von ihm vollführten Aktion des Ausholens zum Wurf gerade den Moment konzentriertester Ruhe erreicht hat, befindet sich sein zur Seite ausschwingendes männliches Glied schon in Bewegung (Abb. 2),11 als solle dadurch darauf hingewiesen werden, dass es bei der ganzen Figur im nächsten Moment zu einer äußerst heftigen, rotierenden Bewegung kommen wird, die auch mit dem Abwerfen der Flugscheibe noch nicht an ihr Ende gelangt sein wird. Im denkbar größten Gegensatz zur Bewegung des Gliedes stehen die übrigen Haltungsmotive, mit denen Myron, dem Austarieren einer Balkenwaage nicht unähnlich, den Ruhezustand vor dem Abwurf ins Bild gesetzt hat. Wohl um den Augenblick größtmöglicher Ruhe noch zusätzlich zu betonen, hat Myron ein weiteres Körperteil in eine Position gebracht, in die es beim Ausholen zum Wurf gar nicht gelangen kann (Abb. 1): Der linke Fuß berührt den Boden nicht, wie es zu erwarten wäre, mit dem Ballen und den Zehen, sondern mit der Oberseite einiger Zehen, ein Motiv, das an ein Sich-zur-Ruhe-Betten erinnert. Den Eindruck des Stillstands, aber auch denjenigen größter Konzentration vermittelt zudem auch der rechte Fuß, dessen Zehen voller Anspannung an den Boden gepresst zu sein scheinen.12 Außer den kompositorischen Besonderheiten in Myrons Schaffen ist uns auch bekannt, wie zwei weitere seiner Statuen gestanden haben. Sie sind offenbar in sekundärem Zusammenhang in Pergamon zur Aufstellung gelangt, wo man in den Jahren 1879 und 1880 wenigstens ihre Basisblöcke entdeckt hat (Abb. 3). Diese enthalten auf der Vorderseite die folgende Angabe: »Myron aus Theben hat (die Statuen) geschaffen.«13 In der Oberseite der Blöcke befinAbb. 3 Robert Koldewey: Ober- und Vorderseite einer Basis für mehrere Bronzestatuen (Ausschnitt) Umzeichnung, 1888

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