Leseprobe

47 Abb. 9 Antonio Lombardo: Wettstreit um Attika; Marmor, um 1508; Sankt Petersburg, Ermitage, Inv. H.CK-1770 schen Plastik übergangen worden ist, nie einen festen Platz in Studien zum griechischen Kunstschaffen gefunden. Im Zusammenhang mit der Frage, ob der hier diskutierte Statuettentypus auf einem großformatigen Vorbild fußt, ist gelegentlich die Ansicht vertreten worden, dass er Bezug neh- me auf einen Herakles kolossaler Größe, der zusammen mit Athena und Zeus ein von Myron geschaffenes und im Heraion von Samos aufgestelltes Ensemble bildete.105 Als besonders attraktiv erschien diese Möglichkeit deshalb, weil die samische Gruppe Strabon zufolge von Marc Anton nach Rom verschleppt worden sein soll. Dort wäre die Herstellung eines erheblich verkleinerten Zwischenoriginals natürlich gut vorstellbar. Da zwei der drei Kolossalstatuen aber schon bald nach ihrem Eintreffen in Rom restituiert worden sind – Zeuge ist wieder Strabon –, und es nicht als plausibel angesehen werden kann, dass man aus einer Dreifigurengruppe nur ein Werk für die Übertragung in kleines Format ausgesucht hat, ist es ratsam, die These von der Teilrezeption nicht weiter zu verfolgen. Auch der Versuch, den Zeus aus der samischen Gruppe in der materiellen Überlieferung auszumachen, ist nicht geglückt. Man glaubte, ihn in Kopie in einem Torso in Rom erkennen zu dürfen.106 Auch wenn dieser Torso tatsächlich zu einer sehr großen, ca. 2,70 oder 2,80 m hohen Statue gehört hat, gibt es keine zwingenden Anhaltspunkte dafür, ihn auf die von Myron geschaffene Kolossalstatue zurückzuführen. Weder die Disposition der Pubes (Abb. 8) noch die Faltengebung der Chlamys des Torsos offenbaren Berührungspunkte zu anderen Skulpturen von der Hand dieses Bildhauers. Nicht einmal die Deutung als Darstellung des Zeus kann als gesichert gelten. Myrons kleiner Herakles hat anscheinend nicht nur während der Antike, sondern auch in der Renaissance das Schaffen bildender Künstler beeinflusst. Ein von Antonio Lombardo um 1508 geschaffener Poseidon (Abb. 9), der zu einem Relief mit dem Thema »Wettstreit um Attika« gehört, sieht dem Herakles jedenfalls verblüffend ähnlich.107 Ich könnte mir vorstellen, dass Lombardo eine der Gemmen vorgelegen hat, die den myronischen Herakles zeigen (Abb. 7). Im Fall einer weiteren Figur des Reliefs – es handelt sich um den neben Poseidon Sitzenden, dessen Deutung nicht gesichert ist – konnte bereits der Nachweis erbracht werden, dass eine antike Gemme als Vorbild fungiert hat.108

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