11 Die für die Ausstellung ausgewählten Gemälde und Ölstudien bekräftigen die Vorstellung vieler Mitteleuropäer vom Norden. Bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war eine hohe Skandinavien-Begeisterung in Deutschland und in anderen europäischen Ländern entfacht worden. Die Werke waren ein wesentlicher Teil einer nationalen Identitätssuche, einer Suche, die dabei tatsächlich mehr Gemeinsames als Trennendes hervorbrachte, auch wenn die Voraussetzungen in den Ländern sehr unterschiedlich waren. Schweden und Dänemark verfügten über ein größeres nationales Selbstverständnis – trotz der territorialen Verluste, die das dänische Königreich im 19. Jahrhundert erlitten hatte. Finnland, das 1809 an das Kaiserreich Russland angegliedert worden war, konnte zwar Teile seiner Selbstständigkeit als Großfürstentum Finnland bewahren, rang jedoch noch bis 1917 um nationale Unabhängigkeit. Auch für Norwegen endete die seit 1814 bestehende Union mit Schweden erst 1905. Die Nationen Finnland und Norwegen nutzten die Kunst in besonderem Maße als Ausdruck nationaler Identität, stärker noch als ihre skandinavischen Nachbarn. Die vier Länder einte ein früher Parlamentarismus, der protestantische Glaube und die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Sprachfamilie. Denn auch in Finnland, wo das Finnische erst 1863 offizielle Anerkennung erhalten hatte, blieb das Schwedische bis ins 20. Jahrhundert die Sprache der Gebildeten. Die Künstlerinnen und Künstler suchten in der Landschaftsmalerei nach Ausdrucksmitteln für die Eigenheiten und Gefühlslagen ihrer Herkunftsländer. Mehrheitlich lehnten sie akademische Regeln ab und strebten eine Befreiung von künstlerischen und gesellschaftlichen Zwängen an. Die Reformierung und Modernisierung des Ausbildungs- und Ausstellungswesens wurde besonders durch die 1885 gegründete schwedische Künstlergruppe Opponenterna vorangetrieben. Bereits ein Jahr später ging aus ihr der Konstnärsforbundet, der schwedische Künstlerbund, hervor. Ihm schlossen sich Maler wie Nils Kreuger, Bruno Liljefors, Carl Wilhelm Wilhelmson und für kurze Zeit auch Helmer Osslund an. Als Glücksfall darf sicherlich bezeichnet werden, dass Prinz Eugen, der jüngste Sohn des späteren Königspaars Oscar II. und Sophia von Schweden, nicht nur eigene künstlerische Ziele verfolgte, sondern als Ehrenmitglied der Königlich Schwedischen Akademie und Mitglied des nationalen Ankaufsausschusses Einfluss auf die nationale Kunstentwicklung nehmen konnte. Gerade seine Wertschätzung für die zeitgenössische Kunst war sehr förderlich für seine Künstlerfreunde, darunter Per Ekström, Niels Kreuger, Bruno Liljefors und Herman Norrman. Deren Werke erwarb er auch in größerem Umfang für seine eigene Sammlung, die zu einer der größten in Privatbesitz befindlichen Kunstsammlungen Schwedens werden sollte. Die neue Wahrnehmung der Natur wurde zur Quelle eines neuen, vitalistischen Lebensgefühls. Realismus und Naturalismus galten als neue künstlerische Programme – als eine an der Wirklichkeit orientierte, dennoch teilweise subjektive Wahrnehmung der eigenen Zeit, visualisiert mit den Möglichkeiten der Pleinairmalerei. Schwedische Künstler wie Alfred Bergström und Per Ekström vertraten eine nationalromantische Richtung. Sie favorisierten eine leicht stilisierte, dekorativ wirkende Darstellung monumentaler Landschaften, die oft in ein mildes Dämmerlicht getaucht sind und lokale Bezüge erkennen lassen. Es war übrigens ihr Künstlerkollege Richard Bergh, der 1896 den Begriff der Stimmungslandschaft und des Stimmungsbildes geprägt haben soll. Die Kunst seines Landsmannes Bruno Liljefors zeichnet sich demgegenüber durch kühne Kompositionen und Bildausschnitte aus. Als präzise Beobachtung der Tier- und Pflanzenwelt entfalten seine Werke eine fast naturmystische Kraft. Eine andere Entwicklung nahm Nils Kreuger: Seine Gemälde, die von innen zu leuchten scheinen, bezeugen seine intensive Auseinandersetzung mit dem französischen Impressionismus. Sein langjähriger Aufenthalt in Paris hinterließ offensichtlich deutliche Spuren in seinem Œuvre. Neben naturalistischen und impressionistischen Tendenzen spielt auch der Symbolismus – insbesondere in der finnischen Kunst – eine wichtige Rolle. Beispielhaft steht hierfür das monumentale Gemälde Der Jüngling und die Meerjungfrau von Albert Edelfelt, der bestrebt war, eine finnische Nationalkunst zu etablieren und selbst wiederum großen Einfluss auf seine Künstlerkollegen ausübte. Besonders empfänglich für diesen Ansatz war Axel Gallén, der sich seit circa 1907 nur mehr Akseli Gallen-Kallela nannte. Das Nationalepos Kalevala hatte für die finnische Identitätsbildung große Bedeutung, wurde es doch gewissermaßen als Entwurf einer künftigen Nation für das 20. Jahrhundert gelesen. Gallen-Kallelas Werke in der Ausstellung rekurrieren nicht direkt auf das Kalevala, sondern verleihen auf andere Weise seiner großen Heimatliebe Ausdruck. In diesem Kontext ist sprechend, dass
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