Leseprobe

16 EIN FEST DES LICHTS UND DER NATUR Die alten nordischen Sagen und Legenden beschwören die enge Verbundenheit des Menschen mit der ihn umgebenden Natur. Die mythischen Erzählungen scheinen den Jahreszyklen auf logische Weise zu folgen und dabei wechselnd den dunklen und hellen Jahreszeiten zu entsprechen. Die finsteren, teils sonnenlosen Tage zwischen der Herbst- und der Frühlingstagundnachtgleiche können als sehr bedrohlich empfunden werden. Doch auch die übrigen Wendepunkte im Jahreslauf sind mit bestimmten Riten und Mythen oder Formen des Aberglaubens verknüpft. Die aktuelle Ausstellung widmet sich dem scheinbar lebensbejahendsten und freudvollsten Tag des Jahres: dem Mittsommer. An diesem Tag fällt es leicht, sich eine Welt vorzustellen, in der alles positiv erscheint, und in der sich alle Sehnsüchte und Wünsche um die nie untergehende Sonne versammeln. Diese verkörpert das Leben selbst, nährt die Hoffnung und weist den Weg in eine strahlende Zukunft. Doch dies ist nur eine Perspektive. Eine beeindruckende Vielfalt von Mythen, Riten, abergläubischen Ideen und magischen Vorstellungen umgibt den nordischen Mittsommer. Sie können sowohl hoffnungsvoll positiv als auch beängstigend düster wirken. Viele dieser Ideen leben bis heute in dem, was wir Folklore nennen. Ob man nun an sie glaubt oder nicht – sie sind weiterhin ein selbstverständlicher Teil der Mittsommerfeiern in den nordischen Ländern. In einem ihrer ersten Bücher über die Mumins ließ die finnische Schriftstellerin Tove Jansson die Trolle einen echten nordischen Mittsommer erleben – mit allem, was dazugehört. Das Buch erschien 1954 auf Schwedisch unter dem Titel Farlig midsommar (Gefährlicher Mittsommer). Die deutschsprachige Version aus demselben Jahr trägt den Titel Sturm im Mumintal – vermutlich, weil der Begriff »Mittsommer« im deutschen Sprachraum damals (und vielleicht heute noch) weniger geläufig war. Sturm im Mumintal gilt allgemein als das wildeste, aufregendste und fröhlichste aller Mumin-Bücher. Die Geschichte enthält alles: Verschwinden, Abenteuer, Horror und Theater. All das trägt sich im Juni zu, in einem Monat, in dem die noch recht kühlen Nächte kaum von Dunkelheit berührt werden. Jansson beschreibt diese Nächte als zart, verträumt und voller Magie. Einer der ältesten Riten ist das Aufstellen eines Mittsommermastes, eines Fahnenmasts, den die jungen Frauen der Gegend mit den schönsten Blumen und dem leuchtend grünen Blattwerk des Frühsommers schmücken. Nachdem der am Boden liegenden Mast festlich dekoriert ist, wird er von den jungen Männern des Dorfes in einer feierlichen und gut organisierten Zeremonie aufgerichtet. BERNDT ARELL

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