Leseprobe

15 Unmittelbarkeit. Doch zugleich erleichtert die in den hochaufgelösten Bilddetails übermittelte Landschaft uns Betrachtenden das Anknüpfen. Sollten die Mars-Ansichten nicht eigentlich ein Blick auf eine völlig fremde äußere Welt sein? Schnell erweist sich, dass sich die außerirdische Landschaft überhaupt nicht als solche darstellt, denn wie viel Vertrautes, wie viel Erdähnliches gibt es in ihr zu entdecken! Aus dem ständigen Vergleich zum Bekannten mag sich sogar ein Gefühl des Wiedererkennens ergeben sowie an anderer Stelle ein elektrisierendes Gefühl der Faszination, wenn wir die Abweichung erahnen. Auch Nicolai Howalt selbst sucht die Bezugspunkte im Irdischen, wenn er über die Serie spricht. Die detailgenauen Bildinformationen, die er nutzt, lassen kaum glauben, dass die Mars-Landschaft – je nach Konstellation – in einer Entfernung von 56 bis rund 400 Millionen Kilometern von der Erde existiert. Ein Berg, der nachweislich viele Kilometer hoch ist, erscheint als kleiner Hügel, weite Senken waren einst tiefe Seen, daneben erstrecken sich staubige Weiten, in denen die Mars-Rover jüngst ihre markanten Fahrprofile hinterließen. Sicher, es ist noch kein menschlicher Fußabdruck, doch es sind bereits Spuren seines Wirkens. Bei einem Thema, das alle wissenschaftliche Hoffnung mit der Zukunft verbindet, mag es unerwartet scheinen, dass die Mars-Aufnahmen in Nicolai Howalt selbst Assoziationen zur historischen amerikanischen Frontfotografie wachriefen. Die Fotografie war noch eine junge Errungenschaft, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere nach dem Sezessionskrieg die neue Technik genutzt wurde, um die Westexpansion der Vereinigten Staaten bildlich festzuhalten und zu legitimieren. Auch die Mars-Aufnahmen sind an einer Grenze entstanden, nämlich an der des menschlichen Zugriffs. Im analogen Verfahren belichtete Howalt das Fotopapier und erhielt nach der Entwicklung das klassische Schwarz-Weiß, was die Verknüpfung zur Geschichte der Fotografie verstärkt. Faktisch ist an diesen Aufnahmen nichts irdisch. Und doch kann die Art, wie wir sie betrachten, zu einem Blick auf uns selbst werden – zu einem Blick nach innen. Wie setzt sich der Mensch jetzt und in Zukunft zu seiner Umgebung in Beziehung? Wie definiert er sich in seiner Welt, und wo endet sein Anspruch auf diese eigentlich? Wie ist dieser unfassbare Zufall zu bewerten, dieses Zusammenkommen aller Bedingungen, das die menschliche Existenz ermöglichte? Und natürlich könnte es auch ein Blick sein auf Strukturen und Prinzipien, die sich im Fernen wie im Nahen, im Großen wie im Kleinen, ähneln. Davon wird auch im Folgenden die Rede sein. F.U.N.G.I. Viele der Werkserien Howalts nehmen die fundamentalen Strukturen des Lebens in den Blick. Doch was geschieht, wenn man des Maßstabs beraubt wird? Dann beginnen sich die Beschaffenheiten im Mikrokosmos wie im Makrokosmos zu ähneln. Etwas sehr Kleines kann plötzlich als große Struktur wahrgenommen werden. Schnell wird ersichtlich, dass der Blick in den Kosmos dem Blick auf die feinen Pilzsporen der Werkserie F.U.N.G.I. ähneln kann und umgekehrt. Auch die Ausstellung spielt mit dieser Irritation, die bestehen müsste und die – es ist befremdlich – letztlich gering ausfällt; als würden wir diese Verwobenheit intuitiv verstehen und hinnehmen. Nicht nur der Blick auf den Mars kann eine Aussicht auf die nahe Zukunft sein, sondern ebenso der Blick auf die Serie F.U.N.G.I. und somit auf den Pilz – diese erhoffte Antwort auf vielfältige Herausforderungen unserer menschlichen Zivilisation. Die essenzielle Rolle von Pilzen in Ökosystemen ist gemeinhin bekannt, doch immer mehr

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