Leseprobe

Vorbemerkung: Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich nicht um einen abgeschlossenen Aufsatz zum Thema. Vielmehr war es Aufgabenstellung, für die Diskussion zur Bedeutung und Authentizität der Torgauer Schlosskapelle kritisch-provokative Fragen zu stellen, um die weiteren Erörterungen in architekturhistorischer, typologischer und kulturgeschichtlicher Perspektive zu schärfen sowie Impulse zur kritischen Reflexion und Präzisierung zu geben. Welche Bedeutung hat die Chronologie des evan- -gelischen Kirchenbaus mit Bezug auf die Torgauer Schlosskapelle als einem der ersten protestantischen Kirchenbauten? Während das Faktum unbestritten bleibt, dass die Schlosskapelle Torgau der einzige von Martin Luther mit einer programmatischen Predigt in Gebrauch genommene Kirchenneubau war, ist schon seit Längerem bekannt, dass es sich nicht um den tatsächlich ersten protestantischen Kirchenneubau handelte.1 Der Torgauer Kapelle gingen in Süddeutschland und Böhmen mehrere Neubauten voraus, die allerdings in den bisherigen Betrachtungen unbeachtet blieben oder allenfalls eine marginale Rolle spielten: Als erster bekannter lutherischer Kirchenneubau ist die Schlosskapelle in Tübingen zu nennen, als zweiter die Stadtkirche St. Joachim in St. Joachimsthal/ Jáchymov und als dritter die Schlosskapelle in Neuburg an der Donau. Die genauen Baudaten der unter Herzog Ulrich von Württemberg auf dessen Schloss Hohentübingen eingerichteten evangelischen Schlosskirche sind nicht überliefert und lassen sich anhand der gesicherten Bau- und Reformationsgeschichte mit einer Vollendung »um 1535« eingrenzen.2 Über hohen Kellergewölben im östlichen Teil des Südflügels der mächtigen Schlossanlage – des zwischen 1525 und 1533 errichteten »Neuen Baus« – entstand ein längsrechteckiger, flachgedeckter Saal von 25,7 Metern Länge, 8,18 Meter Breite und 4,97 Meter Höhe, der ursprünglich geostet war und an der östlichen Schmalseite Altar und zentrale Kanzel aufwies. Damit handelte es sich um ein frühes Beispiel eines dezidierten Predigtsaals, der 240 Personen fassen konnte. Spätere Umbauten (so unter anderem 1647 1 Tübingen, Schlosskirche Hohentübingen, Inneres nach Westen mit Altar von 1635 Tübingen, Hohentübingen Castle Church, interior facing west with altar from 1635  Kanzelkorb, Detail Body of the pulpit, detail

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