Leseprobe

18 Die Torgauer Schlosskapelle ist der einzige protestantische Kirchenneubau, der je durch Martin Luther eingeweiht wurde. Er spiegelt die Vorstellungen des Reformators vom evangelischen Gottesdienst wider und gilt in der kunst-, architektur- und kirchengeschichtlichen Fachliteratur spätestens seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Prototyp des protestantischen Kirchenbaus. Mit dieser Begründung steht die Torgauer Schlosskapelle seit Februar 2024 als Einzelantrag auf der deutschen Vorschlagsliste für das Welterbe und durchläuft in den Jahren 2025 und 2026 das neue Vorabeinschätzungsverfahren der UNESCO. Dabei kommen neue Erkenntnisse zur Kapelle im Schloss Hartenfels zum Tragen, die im Nachgang eines im Jahr 2017 zurückgezogenen Erweiterungsantrags für die Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg gewonnen werden konnten.1 Vor diesem Hintergrund richtete der Landkreis Nordsachen am 16. und 17. Januar 2025 zusammen mit dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und mit Unterstützung des Sächsischen Staatsministeriums für Infrastruktur und Landesentwicklung eine internationale Tagung aus. Ziel der Tagung und des vorliegenden Tagungsbandes ist es, im wissenschaftlichen Austausch die aktuelle Welterbebewerbung der Torgauer Schlosskapelle zu prüfen und zu schärfen. Aufbau und Inhalt orientieren sich deshalb am Entwurf der Begründung der Welterbewürdigkeit, wie sie seit der Eintragung in die deutsche Vorschlagsliste2 vorliegt. Im Vorfeld aller fachwissenschaftlichen Betrachtungen geht der Blick auf den strategischen Rahmen der Welterbekonvention: Ziel der »Global Strategy«3 ist eine nach thematischen, typologischen, chronologischen und geokulturellen Gesichtspunkten ausgewogene und repräsentative UNESCO-Welterbeliste. Eine systematische Auswertung der christlichen Welterbestätten zeigt, dass vorreformatorische, römisch-katholische und byzantinische oder orthodoxe Stätten in der Welterbeliste überproportional vertreten sind (Abb. 1). Die Entwicklung der protestantischen Konfessionen und die damit verbundene Baugeschichte sind kaum repräsentiert, obwohl die Reformation zu Beginn der Frühen Neuzeit maßgebend für die europäische Kulturgeschichte sowie für die Entwicklung von Konfessionen und humanistisch geprägten Wertesystemen war, die in vielen Gesellschaften bis heute fortleben. Es gibt eine Vielzahl wissenschaftlicher Abhandlungen, die die Torgauer Kapelle und ihre Rezeptionsgeschichte thematisieren. Entsprechend der akademischen Fachgebiete entwickeln diese jeweils eigene Fragestellungen und Lesarten zur Bedeutung. Ziel ist es, den Wissensstand zu verdichten, zu kategorisieren und fächerübergreifend zusammenzubringen, um die Bewerbung um den Welterbestatus zu plausibilisieren. Drei thematische Sektionen hinterfragen die Auswahl und Argumentation der Welterbekriterien (ii), (iv) und (vi), die für die Begründung des nachzuweisenden außergewöhnlichen universellen Wertes Prozentuale Verteilung der Christlichen Weltbevölkerung Percentages of the Christian world population Christliche Welterbestätten Christian World Heritage Sites W römisch-katholisch W orthodox W lutherisch/protestantisch W Roman Catholic W Orthodox W Lutheran/Protestant W vorreformatorisch/römisch-katholisch W römisch-katholisch/orthodox W byzantinisch/orthodox W lutherisch/protestantisch W vorreformatorisch/C. o. E. W vorreformatorisch/lutherisch W muslimisch/christlich W profan/sonstige W christlich/jüdisch/muslimisch W Pre-Reformation/Roman Catholic W Roman Catholic/Orthodox W Byzantine/Orthodox W Lutheran/Protestant W Pre-Reformation/C. o. E. W Pre-Reformation/Lutheran W Muslim/Christian W Secular/Other W Christian/Jewish/Muslim 1 Systematische Erfassung christlicher Stätten, die als solche in der Welterbeliste geführt sind (2023) Systematic evaluation of Christian sites represented on the World Heritage List as such (2023)

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