63 Industrie- und Bergarbeiterstadt Am 1. Oktober 1921 vollendete sich mit der Stadtgründung der Vereinigungsprozess der Arbeitergemeinden Deuben, Potschappel und Döhlen. Das sozialdemokratische Freital entwickelte sich zu einer Musterkommune, die in Anlehnung an die sozialreformerische Kommunalpolitik der österreichischen Hauptstadt auch als »Rotes Wien an der Weißeritz« bezeichnet wurde. Mit den Steuereinnahmen der Industrie finanzierte man eine viel beachtete Sozial- und Bildungspolitik. Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen wie Krankenhaus, Poliklinik und Fürsorgestellen standen der proletarischen Bevölkerungsmehrheit ebenso wie Turnhallen, Schwimmbäder oder Sportparks zur Verfügung – desgleichen facettenreiche Kultur- und Bildungsinstitutionen wie Volkshochschule, Bibliothek und Museum. Unter sachsenweit höchster Erwerbslosenquote und geringstem Steueraufkommen scheiterten Freitals stolze Visionen zunehmend durch immense Sozialausgaben infolge des ökonomischen Niedergangs der Weltwirtschaftskrise. Unter Gleichschaltung des öffentlichen Lebens entwickelte sich im Nationalsozialismus der Industriestandort schon vor Kriegsbeginn 1939 zum Rüstungsstandort. Die Stadt wurde 1944 bombardiert und nach Kriegsende wirtschaftlich durch die Beseitigung rüstungszuliefernder Fabriken nahezu lahmgelegt. Das wirtschaftliche Wiedererstarken führte nach 1946 allmählich zum Rückgang der Arbeitslosigkeit unter der durch Flüchtlinge und ausgebombte Dresdner enorm gewachsenen Bevölkerung. Zeitgleich erlangte nachkriegsbedingt die Gewinnung energetisch nutzbarer Steinkohle kurzzeitig nochmals überregionale Bedeutung und es begann der Abbau uranerzhaltiger Steinkohle. Nach einer Verwaltungsreform erhob man den industriellen Ballungsraum seiner wirtschaftlich-territorialen Bedeutung gemäß 1952 zur Kreisstadt. Durch die Eingemeindung mehrerer zumeist landwirtschaftlich geprägter Gemeinden wuchsen Territorium und Bevölkerung von Freital, das zudem als größter Arbeitgeber der Region galt. Die Wohn- und Lebensbedingungen der Freitaler verbesserten sich durch moderne Neubauten von medizinischen Einrichtungen, Schulen, Sportstätten oder Wohngebieten wie der Raschelberg-Siedlung oder dem Plattenbaugebiet Zauckerode. Die industriell verursachte Umweltbelastung inmitten der städtischen Tallage verschlechterte jedoch die Lebensqualität der Freitaler. Den gesellschaftlichen Veränderungen und wirtschaftlichen Verwerfungen der Jahre 1989/90 folgend, kämpfte Freital mit Werksschließungen, Bevölkerungsabwanderung und Durchgangsverkehr. Durch Stadtumbau, Ausweisung von attraktiven Eigenheimstandorten und gut erschlossenen Gewerbeflächen sowie durch die Revitalisierung von Industrie- und Bergbaubrachen veränderte sich die 1997 zur Großen Kreisstadt erhobene Kommune rasant. Die Weißeritz-Flut 2002 verursachte verheerende Schäden, deren Beseitigung jedoch auch städtebauliches Entwicklungspotenzial bot und flussnahe Innenstadtbereiche in durchgrünte Ruhe- und Spielzonen verwandelte. Die lebenswerte Stadt am Fuß des Windbergs wird ihr bergbaulich-industrielles Erbe bewahren und für nachfolgende Generationen identitätsstiftend interpretieren. JP Abb. 52 Souvenirglas mit erstem Freitaler Stadtwappen · um 1922, III/2024/1/A
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1