Leseprobe

64 Stadtzentrum Das aus drei historisch gewachsenen Landgemeinden entstandene Freital verfügte über keine zentrale Stadtmitte. In den architektonischen Vorgaben für ein neu zu schaffendes Stadtzentrum spiegelte sich das sozialdemokratische Selbstverständnis der jungen Kommune wider. Ein imposanter Stadtplatz, bekrönt von einer monumentalen Friedhofsanlage am Windberg, sollte staatliche und kommunale Behörden bündeln und eine Weißeritz-Promenade die Stadtteile mit Grünanlagen verbinden. Die Umsetzung dieser städtebaulichen Visionen des Dresdner Reformarchitekten Rudolf Bitzan (1872–1938) erfolgte nur in losgelösten Einzelgebäuden. Bis in die Gegenwart gelang es trotz mehrfacher Umplanungen nicht, diese bemerkenswerten Ideen baulich zu vollenden. AR Musterkommune Die sozial-gerechte Kommunalpolitik der sozialdemokratischen Musterkommune fokussierte sich auf Wohlfahrt, Sozialwohnungsbau sowie auf Bildungs- und Kulturarbeit. Es entstand ein am Gemeinwohl der mehrheitlich proletarischen Einwohnerschaft orientiertes Gesundheits-, Wohlfahrts- und Fürsorgewesen, dessen Organisation Freital viel Beachtung und mit dem Besuch einer Völkerbund-Ärztekommission 1927 internationales Interesse einbrachte. JP Abb. 53 Stadtforum am Neumarkt · Entwurf von Rudolf Bitzan (1872–1938), Modell von Adolf Mahnke (1891–1945), um 1925, III/2025/4/H Das vom Dresdner Bühnenbildner Mahnke geschaffene Modell zeigt, von Kolonnaden allseitig umschlossen, ein flussnahes Rathaus, die seitlichen Baulichkeiten von Amtsgericht und Postamt sowie die straßenseitig platzierten Gebäude von Finanzamt und Industriehaus. Am Windberghang überragen das signifikante Krematorium und der Friedhof das geplante Stadtforum. Abb. 54 ► Ehrenurkunde Dr. med. Wilhelm Wirthgen · 1926, III/2024/6/H Zur Einbindung der zumeist parteilich unorganisierten Arbeiter ins sozialdemokratische Milieu galten die Arbeiterfreizeitvereine als unverzichtbar. Deren vielfältige Bildungs-, Wohlfahrts-, Kultur- oder Turn- und Sportangebote banden gleichwohl Männer, Frauen wie Kinder ein. Bedeutung kam dabei auch den Kolonnen des 1909 gegründeten Arbeiter-Samariter-Bundes zu, welche zur medizinischen Absicherung proletarischer Veranstaltungen dienten und damit das Pendant zum bürgerlichen Deutschen Roten Kreuz bildeten. Als ASB-Arzt engagierte sich der Coßmannsdorfer Mediziner Wirthgen (unbekannt) dabei häufig für kostenfreie Behandlung von jungen Spinnerei-­ Arbeiterinnen, insbesondere bei der Versorgung ungewollt schwanger Gewordener.

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