13 Warum sollte Frankreich der »Erbfeind« sein? Die Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg dauerte 300 Tage, kostete 300 000 Soldaten das Leben und hinterließ 450 000 Verwundete – für kaum einen Meter Bodengewinn. An Weihnachten unterbrachen die Soldaten das Schießen, sie sangen ihre Weihnachtslieder. Der französische Kommandant musste deshalb vor das Kriegsgericht und wurde degradiert. Der deutsche erhielt nur eine Verwarnung. Solche Episoden zeigen, dass es auch Menschlichkeit inmitten des Grauens gegeben hat. Mein Land hat zu viel Leid verursacht, als dass ich auf andere zeigen dürfte. Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Auch die Kriege unterscheiden sich in ihren Motiven und Umständen. Meine Bilder und Geschichten sollen vor allem an das Leid erinnern, aber auch an den Mut, den Soldaten und Zivilisten aufbrachten. Selbst Liechtenstein beteiligte sich 1866 am Krieg gegen Italien: 80 Soldaten zogen aus, 81 kehrten zurück; sie hatten einen Freund dazu gewonnen, der sich ihnen anschloss. Ein oder zwei Verletzte soll es auch gegeben haben – durch Huftritte. Dieser kleinen Anekdote liegt ein Hoffnungsschimmer bei, den ich auf meinen Reisen nur selten fand. Häufig traf ich auf das nackte Entsetzen: In einem slowenischen Wald wurden Menschen – um Munition zu sparen – lebend in eine Schlucht geworfen. Ihre Mörder hielten sie keiner Kugel wert. So bleibt uns nur die Hoffnung, verehrte Frau Dietrich, und auch Ihnen, Herr Seeger, dass irgendwann die Blumen wieder ungestört blühen und die Mädchen sie pflücken können, ohne auf die Gebeine der Soldaten zu treten. Bis dahin müssen wir uns immer wieder vergewissern, dass wir die Lehren aus der Vergangenheit beherzigen – und dass wir niemals vergessen, wo die Soldaten geblieben sind.
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