Herausgegeben von Mareike Hennig Sandstein Verlag Die Sammlung Klaus-Dieter Stephan
FR EI RÄU ME 110 Möglichkeiten der Welt zu begegnen
sowie ungenannt bleibenden privaten Spendern Das Ausstellungsprojekt und der Katalog wurden ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von Andreas und Erika Dietzel-Stiftung Gefördert durch den Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. – ASKI aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
7 Geleitwort der Direktorin 10 Mareike Hennig Freiräume. 110 Möglichkeiten der Welt zu begegnen 32 Nina Sonntag »O hörst Du, welch herrlichen Genuß hat uns diese Reise verschafft!«. Vom Wandern und Zeichnen 58 Alexander Bastek Freiräume in der Landschaftsmalerei. Die Ölstudie 80 Peter Prange Fort aus Rom – von der Freiheit des Malens 108 Mechthild Fend »Was dem Auge am besten gefällt«. Französiche Maler in der Natur 122 Andreas Stolzenburg »Wirklich, die Natur hat aus reichem Füllhorn ihre Gaben auf dieses Land herabgeschüttet«. Deutsche Maler am Golf von Neapel und den Küsten von Sorrent und Amalfi 154 Lisa von der Höh Zum Charakter der Linie 172 Mareike Hennig Ins Bodenlose. Himmel, Wasser und das ungreifbare Blau 188 Verzeichnis der ausgestellten Werke 198 Künstlerbiographien 208 Verwendete Literatur 214 Abbildungsnachweis 216 Impressum Inhalt
7 6 Zum Geleit Schon in Goethes Elternhaus wurde gesammelt. Der Vater, Johann Caspar Goethe, sammelte Bücher, Bilder und auch naturkundliche Objekte. Diese Sammlungen umgaben die Familie täglich, in der Bibliothek, im Gemäldezimmer oder als Stiche im Treppenhaus. Dass das Sammeln zum Leben gehört, hat Goethe daher früh internalisiert, es nahm in seinem weiteren Leben großen Raum ein. Das Freie Deutsche Hochstift kam mit dem Erwerb des Goethe-Hauses ebenfalls zum Sammeln. Heute bewahren Bibliothek, Handschriften- und Kunstsammlung bedeutende Bestände, von denen seit 2021 eine Auswahl auch im Deutschen Romantik-Museum zu sehen ist. Es ist – wie bei Johann Caspar Goethe – eine bürgerliche Sammlung, die hier entstand, anders als in vielen Museen, in denen sakrale oder fürstliche Sammlungen den Grundstock bilden. Vor diesem Hintergrund versteht sich das Hochstift auch als ein Ort, an dem sich der Blick immer wieder auf das private Sammeln richtet. Präsentierten wir im Jahr 2022 Höhepunkte aus dem Bestand der eigenen Zeichnungen, so zeigen wir jetzt Werke einer Privatsammlung, die denselben Zeitraum aus der individuellen Perspektive eines Sammlers in den Blick nimmt. Die Sammlung Stephan zählt zu den herausragenden Privatsammlungen der Kunst des 19. und späten 18. Jahrhunderts. Aus dem umfangreichen Bestand zeigen wir eine Auswahl von 110 Werken von 70 internationalen Künstlern und stellen die Sammlung so erstmals der Öffentlichkeit vor. Charakteristisch sind hier die kleinen Formate, die Technik der Ölskizze und die Konzentration auf solche Werke, die nicht in erster Linie für Galerien und Museen sondern für private Kontexte entstanden. Neben bekannten Namen wie Camille Corot, Johan Christian Clausen Dahl, Carl Gustav Carus und Carl Blechen sind es zahlreiche neu zu entdeckende Künstler, die gerade in diesen Formaten sehenswerte Werke schufen. Wie das Deutsche Romantik-Museum präsentiert auch die Sammlung Stephan die Epoche als vielgestaltigen Aufbruch einer Generation in instabilen Zeiten. Die Schau verspricht so eine glückliche Ergänzung unserer Dauerausstellung. Wir danken Klaus-Dieter Stephan für seine Bereitschaft, diese Schätze bei uns zu zeigen. Als steter Gesprächspartner und nicht zuletzt als Mitautor der Ausstellungstexte hat er das Projekt mit großem Engagement mitgetragen. Für ihre großzügige Förderung von Ausstellung und Katalog danken wir der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Dr. Marschner Stiftung, der Ernst Max von Grunelius-Stiftung, der Cronstett- und Hynspergischen evangelischen Stiftung, der Andreas und Erika Dietzel-Stiftung, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, der Stiftung der Frankfurter Sparkasse und dem Arbeitskreis selbständiger Kultur- Institute e.V. (ASKI). Für die Gestaltung der Ausstellung gilt unser Dank Petra Eichler und Susanne Kessler von Sounds of Silence sowie Michaela Kessler von desres, für die photographische Aufnahme der Werke Alexander Paul Englert. Für die Realisierung des Katalogs danken wir Katrin Hoyer und Michaela Klaus vom Sandstein Verlag. Den Autorinnen und Autoren danken wir für ihre Beiträge, die ein differenziertes Bild der bisher unpublizierten Sammlung zeichnen. Mein Dank gilt schließlich der Leiterin unserer Kunstsammlungen, Frau Dr. Mareike Hennig, die als Kuratorin der Ausstellung auch den Katalog verantwortet. Für ihre kuratorische Mitarbeit an Ausstellung und Katalog gilt mein Dank Dr. Nina Sonntag und Lisa von der Höh M.A.Außerdem danke ich Waltraut Grabe und Brita Werner für die sorgfältige Betreuung der kostbaren Exponate. Wir sind glücklich, diese bedeutende Sammlung bei uns präsentieren zu können und wünschen allen Besucherinnen und Besuchern viel Freude beim Erkunden der Freiräume. Frankfurt am Main, im Mai 2025 Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken Direktorin Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum
Mareike Hennig Freiräume. 110 Möglichkeiten der Welt zu begenen Der Freiraum des privaten Sammelns besteht in der Unabhängigkeit von einem vorgegebenen Sammlungskonzept und in der Möglichkeit, Perspektive und Thematik selbst zu bestimmen. Wie Alfred Lichtwark es fasste, bewirkt hier »die individuelle Leidenschaft des Kunstliebhabers seinen persönlichen Ausdruck in Inhalt, Form und Gestaltung«.1 In privaten Sammlungen wird Kunst in vielfacher Weise, doch stets mit eigenem Zugriff zusammengebracht. Mit seiner Sammlung offenbart jeder Sammler auch persönliche Fragestellungen, etwa an eine Epoche, und zuweilen offenbart er überdies ein großes, aus Interesse und hoher Motivation erworbenes, kontinuierlich ausgebautes Fachwissen. So auch in der Sammlung Stephan, die sich in den letzten Jahrzehnten erst leise, inzwischen unüberhörbar zu einer Sammlung von herausragender Qualität, erstaunlicher Geschlossenheit, eigenem Charakter und nicht zuletzt großer Schönheit entwickelt hat. Der Freiraum des privaten Sammelns hat auch eine Kehrseite: Privatsammlungen gehören zu den blinden Flecken im Wissen um die Kunst. Wenig gesehen und oft nur fragmentarisch publiziert, entziehen sie sich Öffentlichkeit und Wissenschaft gleichermaßen. Dass Museen als Orte der Sichtbarmachung diese verborgenen Schätze inzwischen häufiger nicht mehr nur als einzelne Leihgaben präsentieren, mag mit einem gewandelten Selbstbild der Institutionen zu tun haben. Das Abrücken von einem exklusiven Verständnis musealer Sammlungen führt dazu, auch bislang eher ungewöhnliche Formate zu zeigen. Damit gerät in den Blick, was nicht genuin für öffentliche Sammlungen entstand, was aber Publikum und Wissenschaft vermehrt interessiert: der nicht institutionalisierte Zugriff auf die Welt, die persönliche Handschrift, die Bilder des Erprobens. Ihnen spürt die Sammlung Stephan nach. Sie legt ihr Augenmerk dabei auf die Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, beachtet aber auch
11 10 ihre Wege aus dem 18. und weiter ins spätere 19. Jahrhundert. Es geht ihr um das kleine Format, den subjektiven Blick, neue Techniken wie die Ölskizze, doch birgt sie auch Zeichnungen, Druckgraphiken und Gemälde. In vielfältiger Weise und großer Komplexität, die nicht allein bei den bekannten Namen verbleibt, macht sie den Aufbruch-Charakter einer Künstlergeneration sichtbar, die sich ihre Freiräume entschlossen und mit spürbarer Frische eroberte – neue Räume in geographischer, sozialer, technischer und motivischer Hinsicht. Diese möchten die Ausstellung und der Katalog vorstellen. Der Freiraum der Technik Ob die hier präsentierten Künstler eine Akademie besuchten oder in einem Atelier lernten: Zielpunkt der Ausbildung war das Erlernen der Ölmalerei. Das offizielle, vollendete Bild entstand in Öl auf Leinwand. Die Zeichnung galt nur selten als autonomes Werk, das Zeichnen gleichwohl als Grundlage jeglicher künstlerischer Arbeit. In der schnellen Verbindung von Auge und Hand erfasst die Zeichnung zuerst das Motiv, legt die Komposition fest, eine Haltung, ein Detail. Abgeschlossen war das Werk durch die Überführung in die Ölmalerei. Diese klassischen Gemälde finden sich auch in der Sammlung Stephan: Da ist die Darstellung eines Blickes aus dem Fenster auf Dresden (Kat.-Nr. 1), in der Traugott Faber sorgfältig mit Licht und Schatten operierte und die Nähe des privaten Raumes mit dem Weitblick in die Landschaft kombinierte, da unterstrich Oswald Achenbach im Hochformat den tief herabstürzenden Wasserfall (Kat.-Nr. 56), oder Carl Wagner blickte weit über das blaue Elbtal, wobei er in den Vordergrund ganz bewährt einen Baum und eine Staffagefigur einfügte (Kat.-Nr. 11). Auch das klassische Ölbild kann atmosphärisch sein und einen privaten Blick zeigen. Zugleich jedoch passiert zweierlei: Zum einen wird mit der Kombination von Öl auf Leinwand auch das Festhalten eines schnell vergänglichen Eindrucks erprobt, etwa von Camille Corot, der in Marino mit skizzenhaftem Duktus eine Landschaft zur Studie einer abendlichen Atmosphäre machte (Kat.-Nr. 69). Zum anderen experimentierten Künstler individuell mit Öl auf Papier, auf Karton, auf Malpappe, zuweilen verstärkt durch Holz oder Leinwand. Die Varianten sind zahlreich, wie die Techniken der ausgestellten Werke zeigen. Die Ölmalerei, bislang angewiesen auf Atelier, Staffelei und Zeit, wurde dem Wunsch der Künstler untergeordnet, an anderem Ort andere Motive aus anderer Perspektive festzuhalten – und das in Farbe. Dies brauchte das kleine Format. Angepinnt an den Malkasten konnten Papier, Leinwand oder Pappe auch außerhalb des Ateliers bearbeitet werden,2 und mit Techniken wie Ölskizze, Aquarell und Zeichnung ergaben sich Experimentierfelder des schnellen Arbeitens. Diese Bilder waren nicht mehr allein Vorstudien für andere Werke, galten aber gleichzeitig auch noch nicht als autonome Werke.3 Eben in dieser Uneindeutigkeit gewährten die vormals rein vorbereitenden Techniken nun Freiräume für neue Perspektiven und Anliegen. Dies wird in der Sammlung Stephan direkt sichtbar. Zurückhaltend im Format, zart in der Materialität, wenig auf ein großes Publikum abzielend, ist diesen Werken eine Unmittelbarkeit zu eigen, die sich bis heute nicht abgenutzt hat. Diese Techniken eröffneten auch funktional einen weiten Horizont: Die kleingewachsenen Birken, die Thomas Fearnley in seiner norwegischen Heimat in Öl festhielt (Kat.-Nr. 4), konnten noch als Motivvorrat dienen. Die Häuserfront, die Joseph Thürmer in Italien auf sein Blatt setzte, ist hingegen von so großer atmosphärischer Geschlossenheit und überlegter Komposition, dass sie trotz des schnellen, flüssigen Pinselstrichs, des durchscheinenden Grundes und der unterschiedlich detaillierten Ausarbeitung fraglos bildhaften Charakter hat (Kat.-Nr. 36). Der Freiraum der Orte Der Gegensatz von Akademie einerseits und freier Kunst außerhalb der Institution andererseits ist verkürzt und trifft doch um 1800 eine zeittypische Haltung. Tatsächlich war die akademische Ausbildung genormt, das Curriculum gesetzt. Doch nicht nur außerhalb von Akademien eroberten sich die Künstler Freiräume, manchmal nahmen diese auch gerade hier ihren Ausgang. Die ersehnte Reise nach Italien traten viele Künstler mit dem Rom- Stipendium einer Akademie an. Meist auf ein Jahr beschränkt, war diese Erfahrung oft prägend und das Gefühl von Freiheit groß. Unterhielt die Französische Akademie seit 1803 eine Dependance in Rom, so waren die Künstler aus Berlin, Düsseldorf oder Kopenhagen darauf angewiesen sich eigene Räume zu suchen und fanden diese in der Natur. Hier trafen sie etwa die französischen Kollegen, die auch nicht in den Akademieräumen blieben.4 Wichtiger als das Kopieren von Antiken wurde das Zeichnen
und Malen in der Campagna, in Bergorten wie Olevano, Civitella oder an den südlichen Küsten.5 Aber auch in Rom konnte ein kleines Verschieben der Perspektive neue Räume vorstellen: Fearnleys Blick ins Forum Romanum (Kat.-Nr. 42) verbindet die Säulen des Dioskurentempels selbstverständlich mit Staub, Sand und Ochsenkarren und so die Antike mit der Gegenwart. Andere Räume eroberte sich 1809 in Wien eine Gruppe von Studenten, die sich im Lukasbund zusammenfand. Der Kreis um Friedrich Overbeck und Franz Pforr stand in Opposition zur Akademie, deren Ausbildungsweise, ästhetische Vorgaben und inhaltliche Ausrichtung sie ablehnten. 1810 ließen sich die Gründungsmitglieder in Rom nieder, wo sie zunächst gemeinschaftlich im aufgelassenen Kloster San Isidoro lebten. Die später Nazarener genannten Künstler hielten durchaus an klassischen Methoden fest. Das regelmäßige Aktzeichnen besuchten auch andere Künstler in Rom und der feine Zeichenstil wurde in gemeinsamen Sitzungen geübt. Einzelne Requisiten wie ein großer Mantel finden sich so in mehreren ihrer Zeichnungen wieder (Kat.-Nr. 98).6 Ein Freiraum muss nicht außerhalb des Ateliers liegen, nur muss er selbstbestimmt sein. Neben Italien wurden auch Orte bildwürdig, die bislang nur wenige Künstler besucht hatten. Die wilde, unberührte Natur Norwegens mit ihren Fjorden und Felsen hielten nicht nur Clausen Dahl und Fearnley fest, die hier beheimatet waren, sondern auch die Hamburger Künstler Christian Morgenstern und Louis Gurlitt (Kat.-Nrn. 2, 3). Von München aus wanderten junge Kunststudenten an die Seen im Umland und in die Berge, um draußen zu arbeiten.7 In Frankreich schließlich führte die lange Tradition der Freilichtmalerei, die durchaus in italienischen Erfahrungen wurzelt, schließlich zu einem grundlegenden Wandel des Genres. Der Wald von Fontainbleau und das Dorf Barbizon, in dem Camille Corot, Théodore Rousseau oder Théodore Caruelle d’Aligny malten, sind bis heute Namensgeber einer neuen Ausrichtung der Landschaftskunst. So malerisch uns diese Gegenden heute erscheinen, zeitgenössisch galten sie als bildunwürdig. Doch langsam veränderten die neuen Bilder auch die Wahrnehmung der Betrachtenden und die bevorzugten Räume der Künstler interessierten zunehmend ein größeres Publikum. 1849 stellte Rousseau im Pariser Salon aus und fand in den 1850er-Jahren große, allgemeine Anerkennung. Der Freiraum der Motive Eng verbunden mit der Technik und den Orten sind die Motive. Jenseits von großen Auftragswerken oder Gemälden für Akademieausstellungen berichten viele Werke der Sammlung Stephan von dem, was die Künstler täglich vor Augen hatten, was sie miteinander, direkt vor Ort zeichneten und malten und welche Motive sie reizten. Zuweilen tritt das Motiv im klassischen Sinne, als Abbild eines Objektes oder Geschehens in den Hintergrund und liefert eher den Anlass für die Darstellung einer Stimmung oder einer Lichtsituation. Dann wirkt es, als nähme der Künstler nicht nur einen optischen Eindruck in das Bild auf, sondern auch eine Luftbeschaffenheit, ein Rauschen, eine Kühle. Dies zeigt sich in den Darstellungen von Wetterphänomenen, Regen oder Wolken, die die Sammlung in großer Bandbreite bewahrt. Adolf Henning hielt in Tivoli, diesem ikonischen Ort der Kunstgeschichte, keinen Tempel und keine Villa fest, sondern das leuchtende Farbspiel des sich schnell ändernden Abendhimmels (Kat.-Nr. 47). An die berühmten Zypressen erinnern nur die dunklen Baumsilhouetten, die im Gegenlicht vor dem Himmel stehen. Johan Christian Dahl schaute nach oben und skizzierte die flüchtigen Wolken (Kat.-Nr. 102). Heinrich Reinhold bewahrte das transparente Grün einer sich brechenden Welle (Kat.-Nr. 79) und Carl Blechen das Goldgelb eines Kornfeldes (Kat.-Nr. 5), das als weiter Blick im extremen Querformat leuchtet, als passe sich das Format der Augenbewegung des Malers an. Vier Blicke in die Welt, jeder aus dezidiert persönlicher Perspektive und jeder von großer malerischer Qualität. Neben dem Vergänglichen ist es das Nebensächliche, Kleine, das sich in der Sammlung Stephan in besonderer Weise findet. Da ist der fokussierte Blick auf ein Objekt wie das zum Trocknen aufgehängte Fischernetz, das Ludwig von Löffzt wiedergab (Kat.-Nr. 28). In dem kleinen Bachlauf, den wohl Eduard Wilhelm Pose in einer Ölskizze festhielt, berücksichtigte der Maler im Grunde die klassischen Vorgaben eines Landschaftsbildes: verschiedene Bildgründe, Stein, Wasser und Pflanzen (Kat.- Nr. 23). Doch galt das Motiv des Unterholzes und des Wassers in seinen verschiedenen Zuständen: fließend, stehend, strudelnd noch nicht als bildwürdig. Geradezu kühn erscheint in diesem Kontext der Däne Petzholdt, der vom berühmten Pompeji allein einen Hügel im Dunst zeigte, blau-grün changierend, vom vor-
13 12 deren Bildraum getrennt durch eine gerade verlaufende, helle Mauer, davor ein karger Sandtreifen. Nahezu abstrakt, doch von immenser Suggestionskraft (Kat.-Nr. 84). In diesen Formaten beweist sich zuweilen ein genauer Detailblick und eine Sensibilität für Materialität oder Atmosphären, die in den ausgeführten Galeriewerken der Maler auf diese Weise keinen Raum haben. Andreas Achenbach, einer der bekanntesten Künstler der Düsseldorfer Malerschule, war mit Hafenansichten und Seestücken überaus erfolgreich. Meist waren diese groß, gern dramatisch. Seine kleine Wasserstudie zeigt das grundlegende Element seines Genres in nahezu intimer Weise (Kat.-Nr. 106): Dies Wasser ist denkbar unspektakulär, ein genauer Blick auf seichte Wellen an einem Ufer, örtlich nicht definiert, aus subjektiver Perspektive schnell festgehalten. Achenbach kommt seinem bevorzugten Element hier malerisch nahe und offenbart eine feine Handschrift. Diese Arbeiten eröffnen ein Grenzgebiet zwischen »privaten« und »öffentlichen« Werken. Gemälde, Ölstudien und Zeichnungen dieser Art gehörten bereits zum Zeitpunkt ihres Entstehens in einen Zwischenbereich – einen Freiraum – zwischen kommerzieller Ware und privatem Fundus. Sie kursierten durchaus unter den Künstlern und wurden auch von ersten Sammlern gesucht. Der Freiraum der Person In einer Zeit großer politischer, gesellschaftlicher und ästhetischer Umbrüche und Öffnungen begann eine Suche nach dem, was die freie Kunst und den freien Künstler ausmachen könnte. Die vielfältigen inhaltlichen Freiräume der Kunst korrespondierten mit der Lebensrealität der Künstler, die sich aus festgefügten Strukturen lösten, unterwegs waren – frei und ungesichert zugleich und damit notwendig wagemutig. Ihr ambivalenter Zustand, der Leichtigkeit und Bodenlosigkeit gleichermaßen mit sich brachte, ist in der Sammlung Stephan spürbar und bringt eine Direktheit mit sich, die das Publikum bis heute trifft. Bestimmt der Künstler selbst, mit wem er in Olevano, im Voralpenland, in den Albaner Bergen gemeinsam arbeitet und entzieht er sich dem Hierarchie-Diktat der Techniken, so tritt schließlich zwingend die eigene Person als Faktor in das Bild ein. Ein Absehen von der eigenen Perspektive ist kaum möglich und so leiht der Künstler dem Betrachter die eigenen Augen, zieht ihn an die eigene Seite. Zeitgenössisch sind diese Betrachter oft andere Künstler. Ihre enge Verbindung untereinander und der intensive Austausch, in dem ihre Werke entstehen, sind bemerkenswert. Neben stabileren Gruppen wie den Lukasbrüdern sind es Freundschaften wie die von Ernst Fries und Camille Corot oder die gemeinsamen Studien von Franz Catel, Johan Christian Clausen Dahl und Wilhelm Huber. Der Freiraum der selbst gewählten Gesellschaft zeigt sich in der Sammlung Stephan ebenso deutlich wie die Internationalität der Szene mit Deutschen, Franzosen, Schweizern, Dänen und Norwegern. Das künstlerische Erfassen der Welt entwickelte sich nicht innerhalb nationaler Gruppen. Neugier und die Bekanntschaften der Künstler untereinander machten ihre Werke durchlässig für Neuerungen. Zudem zeigt die Sammlung, dass erst das Nebeneinander von berühmten und weniger bekannten Namen ein komplexes Bild ergibt. Die Sammlung verdeutlicht die Beziehungen von Künstlern, die zur gleichen Zeit an gleichen Orten mit den gleichen Themen befasst sind, die miteinander reisen, zeichnen und malen. Gemeinsam ergeben ihre Werke ein dichtes Geflecht von Blicken in die Welt. 1 Zitiert nach Ausst.-Kat. Hamburg/Paris 2016, S. 7. Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle von 1886 bis 1914, analysierte in diesem Text die verschiedenen Typen und Intentionen von Sammlern. Ausführlich: Lichtwark 1922 [verfasst 1912]. 2 Vgl. zum konkreten Vorgehen der Maler in der Natur: Ger Luijten, Painting in Nature, in: Ausst.-Kat. Washington/ Paris/Cambridge 2020, S. 43–55, sowie den Aufsatz von Alexander Bastek im vorliegenden Band. 3 Die Anfänge der Freilichtmalerei werden im vorliegenden Band mehrfach thematisiert. Vor allem in Frankreich und England ist sie bereits im 18. Jahrhundert verbreitet, öffentliche Anerkennung gewinnt die Freilichtmalerei aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem an dessen Ende. Vgl. dazu Ausst.-Kat. New York 2013 sowie die Aufsätze von Alexander Bastek und Mechthild Fend im vorliegenden Band. 4 B ekannt sind etwa die Freundschaft und das gemeinsame Arbeiten im Freien von Ernst Fries und Camille Corot. 5 Dazu ausführlich die Aufsätze von Peter Prange und Andreas Stolzenburg im vorliegenden Band. 6 Vgl. hierzu den Aufsatz von Lisa von der Höh im vorliegenden Band. 7 Vgl. hierzu den Aufsatz von Nina Sonntag im vorliegenden Band.
15 14 1 Traugott Faber / Blick durchs Fenster auf Dresden / 1823
17 16 2 Christian Morgenstern / Fischerhäuser am Fjord in Norwegen / 1827
3 Louis Gurlitt / Hjelle, Norwegen / 1835
Nina Sonntag Die Natur als Akademieraum Vier junge Männer postieren sich auf einer Anhöhe, am Horizont hinter ihnen erheben sich partiell in Nebelschwaden verschwindende Gebirgszüge, rechts auf einem Berg thronen eine Dorfkirche und vereinzelte Häuser (Kat.-Nr. 16). Das Reisegepäck, das die vier bei sich tragen – Reisestaffelei, Malschirm, Malkasten, Papierrollen, Zeichenmappen – kennzeichnet die Gruppe als Künstler. Während sich drei einander zugewandt und stehend unterhalten, ist der zweite von rechts etwas von der Gruppe separiert. Er sitzt auf einem Feldhocker, hat eine handliche Staffelei zwischen die Beine geklemmt und ist ins Zeichnen vertieft. Er scheint von dem Gespräch der anderen nichts mitzubekommen, seine Aufmerksamkeit gilt dem Zeichnen: Es nimmt ihn vollkommen ein. Die von Johann Adam Klein stammende Radierung Die Maler auf der Reise ist, wie die rückseitige Beschriftung verrät, »Meinen Reisegefährten gewidmet. diese waren nemlich: die Brüder Heinrich u Phil. Reinhold, dann J. Chr. Erhard und E. Welker. […]«, also die Brüder Heinrich und Friedrich Philipp Reinhold, Johann Christoph Erhard und Ernst Welker.1 An der im August 1818 zu Fuß unternommenen gemeinsame Reise über Salzburg nach Berchtesgaden lässt uns einer der Begleiter Kleins, Heinrich Reinhold, teilhaben, der in einem an seinen Bruder Gottfried verfassten Brief eingehend die eindrucksvolle Landschaft beschrieb, die die fünf umfing, und resümierte begeistert: »O hörst Du, welch herrlichen Genuß hat uns diese Reise verschafft! welch einen Gewinnst für den Künstler an Geist und Körper! […] Ich kann keck behaupten: es giebt in Deutschland wenigstens, keinen schönern Aufenthalt als Salzburg und die umliegende Gegend, Berchtesgaden mit einbegriffen, das Ländchen, was, beynahe buchstäblich genommen, höher als breit ist.«2 Die Wanderung durch die Berchtesgadener Alpen war für die Freunde nachhaltig prägend und ein Doppelgewinn – eine körperliche wie geistige Erfahrung. Das den Freunden und Reisebegleitern gewidmete Blatt wird nicht nur zum Symbol einer innigen Verbundenheit, sondern zeugt auch von einem neuen Selbstbewusstsein der Künstler. Die Reise selbst wird zum Bildthema und nicht nur bildwürdig, sondern druckfähig. Ein zur Vervielfältigung bestimmtes Blatt verbreitet die Botschaft einer neuen Haltung: Künstler, die sich selbstbestimmt, frei und ungezwungen in der Landschaft bewegen. Klein, der seine Radierung im heimischen Atelier 1819 aus zwei einzelnen, auf der Wanderung entstandenen Zeichnungen seiner Freunde komponierte,3 verwandelte auf diese Weise die authentischen, »O hörst Du, welch herrlichen Genuß hat uns diese Reise verschafft!« Vom Wandern und Zeichnen
33 32 unmittelbaren Reiseskizzen seiner Freunde zu einem Idealbild. Er objektivierte den vollkommenen Moment einer subjektiven Erfahrung, des autonomen Zeichnens und lehrreichen Erkenntnisgewinns durch Erfahrungsaustausch inmitten der Natur. Dahinter setzte er gekonnt den wiedererkennbaren Watzmann in Szene: In dem Blatt erhält die Reise Denkmalstatus. In Reinholds Bericht wird ebenso deutlich, dass die Natur für die Freunde zugleich Atelier- und Akademieraum wurde. Da es mehrere Tage ununterbrochen regnete, mussten die Freunde zwischenzeitig in ein Wirtshaus flüchten: »Zum Glück war das Wirtshaus sehr gut und billig, wir waren unsrer 5 auf einem Zimmer, und trieben tausend Streiche und Schnaken, hielten Akademie, zeichneten einander, oder Kostüme usw., wurde es ein wenig hell, gleich hinaus um etwas zu zeichnen, doch konnte wenig geschehen.«4 Mit größter Souveränität erklärte Reinhold, dass Akademie nun überall stattfinden kann – es braucht kein fest verortetes Gebäude mehr. Zeichnen, Fortbilden und Schulen der eigenen Wahrnehmung fand in einem ungezwungenen, freundschaftlichen Rahmen und in Freiheit statt – fern von den Zwängen eines institutionellen Gefüges. Die neue Selbstverständlichkeit, in der Maler ab sofort »Akademie« verstanden, zeigt sich auch in einer Zeichnung von Friedrich Philipp Reinhold, die auf derselben Reise am 20. August 1818 in Berchtesgaden entstand. Auf dem Blatt ist sein Bruder Heinrich Reinhold mit demselben Malerschirm und in ähnlicher Haltung wie in Kleins Druckgraphik zu sehen, daneben steht Klein über ein Blatt Papier gebeugt und zeichnet. Oben links notierte Reinhold auf dem Blatt: »Des abscheulichen Wetters wegen, was uns einsperrte, hatten wir eine Akademie eingerichtet.«5 Auch Kleins Reisegefährte Johann Christoph Erhard thematisierte den Reisenden, der zum illustrierten und reflektierten Objekt seiner eigenen Beobachtung wird. Werden bei Klein die Freunde bildfüllend portraitiert, fügte Erhard sich selbst und zwei seiner Mitreisenden auf dem Titelblatt In den Ruinen von Stahremberg für seine Radierfolge 6 Ansichten aus den Umgebungen des Schneebergs miniaturhaft in eine Ruinenlandschaft ein (Kat.-Nr. 15). Dargestellt sind – von links nach rechts – wohl Heinrich Reinhold in Rückenansicht, daneben Johann Christoph Erhard und Ernst Welker.6 Die drei Maler funktionieren zwar als Staffagefiguren der Architekturumgebung, sind aber doch so portraithaft und zentral unter dem Titel der Serie ausgerichtet, dass sie nicht Beiwerk sind, sondern die Druckfolge zu einem Dokument der persönlichen Erinnerung erheben.7 Die Natur und das Ich Neben dem Verhältnis der Personen untereinander wird von Erhard auch das Verhältnis von Natur und Mensch ins Bild gesetzt. Deutlich wird dies in zwei Radierungen der vierteiligen Folge Die Salzburger Landschaften mit den großen Figuren aus dem Jahr 1819, die er nach vor Ort anfertigten Zeichnungen ausführte.8 Das erste Blatt, Der mit seinem Führer rastende Künstler, zeigt im Vordergrund einen Künstler, der sich mit seinem Reiseführer am Wegesrand niedergelassen hat (Kat.-Nr. 18). In Rückenansicht und in lässiger Haltung dargestellt, hat er den Arm zu einer ausladenden Geste erhoben. Ihm gegenüber sitzt ein älterer Mann mit hohem Hut, den Wanderstock beidhändig fest umschlossen und dem Künstler lauschend. Erhards Blatt ist ein Idealbild, es geht um die Aneignung der Natur durch den Menschen. Die Polarität zeigt sich im Gegensatz von betagterem Landmenschen und jungem Stadtmenschen. Letzterer eignet sich die Landschaft mit vollem Körpereinsatz an, okkupiert mit Mantel, Hut und Zeichenmappe neben sich das Gras, arglos beiseite geworfen liegt auf dem Weg sein Wanderstock. Ihm gegenüber hat sich der Alte vorsichtig und aufrecht ins Gras gesetzt, seinen Rucksack platziert er vorsichtig neben sich am Wegesrand. Beidseitig des großen Baumes in der Bildmitte ergeben sich Ausblicke in die Tiefe, die die Polarität aufgreifen und verstärken: Rechts, dem alten Mann zur Seite gestellt, wandert auf dem Weg in der Ferne ein Hirte mit Vieh und links neben dem Baum, oberhalb des Künstlers, hat sich ein Mann inmitten der Landschaft an einen Stamm gelehnt niedergelassen. Die konträre Form der Naturaneignung findet im Bild eine formale Entsprechung in der durch den Baum vorgegebenen Trennung, von dem aus sich Blicke in beide Welten offenbaren. Das Besondere an dem vorliegenden frühen Abzug ist der (in späteren Abzügen abgetrennte) linke Randstreifen. Das schmale Band zeigt im Panoramaausschnitt eine zweite, um 90 Grad gedrehte Landschaft. Rechts auf einem Weg wandert ein Reisender mit Hut, Rucksack und Stock, dem sich links die ganze Weite und Vielfalt der Natur eröffnet: Wälder, Wiesen, Felder, Felsen, Gebirge und ganz links ein Flusslauf mit Weidevieh. Erhards breitformatige Ansicht steigert den überwältigenden
Eindruck von Weite und Unbegrenztheit der Landschaft. Erst durch die Reise zu Fuß, das Hineinbegeben in die und Durchwandern der Natur entfaltet sich diese dem Künstler ganz. Im zweiten Blatt der Radierfolge Der Alte vor dem Knüppelsteg, hier als Kupferplatte zu sehen, ist ein alter Mann mit Wanderstock und breitkrempigem Hut im Begriff einen Steg zu überqueren (Kat.-Nr. 17). Den Großteil der Komposition dominiert die fein und ziseliert ausgearbeitete Vegetation, die von wildwucherndem und bodendeckendem Blatt- und Buschwerk bis hin zu hochgewachsenen Bäumen mit ausgearbeitetem Laubwerk reicht. Rechts im Hintergrund ist eine Ruinenarchitektur schwach in der Platte herausgearbeitet, davor steht eine junge Frau, links daneben ein Rind. Wieder eröffnet sich dem Betrachter der Dualismus zwischen Jung und Alt, Natureinsamkeit und Zivilisation. Erhards Radierungen zeugen von einem neuen Naturverständnis und einer tiefen, fast poetischen Verbundenheit mit der Natur. Die Naturschönheit der Region Viele Landschaftsmaler ließen Anfang des 19. Jahrhundert das heimische Atelier hinter sich, um im unmittelbaren Kontakt mit der Natur zu arbeiten.9 Zwar reisten die Künstler auch zuvor zu Fuß und zeichneten in der Natur, doch geschah dies mit dem Ziel, sich Wissen anzueignen sowie die dort entstandenen Skizzen als Versatzstücke zu nutzen und entsprechend des akademischen Regelkanons in ideale Kompositionen einzubauen. Die Aufwertung der auf der Reise entstandenen Landschaftsbilder hing einerseits mit der Transportfähigkeit der Farben zusammen, die es den Künstlern plötzlich ermöglichte, vor Ort nicht nur in Skizzenbüchern, sondern auch auf Papier oder Leinwandstücken mit Ölfarben zu malen.10 Andererseits führte das neue Selbstbewusstsein der Künstler, das mit dem Lösen aus den Zwängen der Akademietradition einherging, auch zur selbstbestimmten Reise, die dem eigenen Vergnügen und Fortbilden diente. Dies manifestierte sich insbesondere in der Wahl der Wege abseits einer Grand Tour. Während weite Reisen wie die nach Italien teuer und nicht ungefährlich waren, machte die geographische Nähe und das transportable Malequipment mobil und flexibel. Dabei entdeckten die Maler gerade fernab der Laufwege und in ihrer unmittelbaren Umgebung, also der heimischen Landschaft, einen unerschöpflichen Motivreichtum. Führte die erwähnte Reise die Nürnberger Maler Klein und Erhard zusammen mit den Brüdern Reinhold sowie Welker von Salzburg nach Berchtesgaden mit dem Watzmann als krönenden und imposanten Motiv, so fanden andere Künstler zu ähnlichen Routen und bewegten sich in der Nähe des Alpenrandes, wo sie Berge, Seen, Flüsse, Bäume oder Holzhütten als Sujets fanden. Das Voralpenland, das Salzkammergut und die Steiermark boten alles, um das Ephemere der Natur einzufangen: Materialität und Oberflächen von Steinen, Holz oder Erde, fließende oder ruhende, spiegelnde Gewässer, unterschiedliche Lichtstimmungen und wechselnde Wetterverhältnisse. In unseren Beispielen lassen sich die nah beieinanderliegenden Reisewege hervorragend nachvollziehen: Der norwegische Künstler Thomas Fearnley malte in Öl auf Holz eine Mühle bei Golling – südöstlich von Berchtesgaden gelegen – und setzte die einfach aus Holzlatten zusammengezimmerte Wassermühle zentral in Szene (Kat.-Nr. 27). Fearnley fing das Wasser ein, das über eine hölzerne Wasserrinne zum Mühlrad geleitetet wird und sich dann kaskadenhaft über Felsblöcke bis zum unteren Bildrand ergießt. Unterschiedliche Materialitäten, wie das vom Wasser bereits angegriffene, verwitternde Holz kontrastieren mit den glatten oder moosbewachsenen Gesteinsoberflächen. Akzente setzt das schäumende Wasser. Auch der Maler August Heinrich wanderte durch das Berchtesgadener Land bis nach Salzburg. Sein Aquarell Waldlandschaft im Gebirge (Kat.-Nr. 20) wird vermutlich in die geographische Nähe des südlich von Berchtesgaden gelegenen Königsees zu verorten sein, von dem sich eine Skizze auf der Rückseite des Blattes befindet. Als Bildausschnitt wählte Heinrich eine Ansicht mit Blick über eine Wiese im Vordergrund und Wälder bis zu Gebirgszügen im Hintergrund. Dabei wird der freie Blick durch eine dominierende Dreiergruppe von Bäumen, die die Bildvertikale durchschneidet, verstellt. Als weiteres eindrucksvolles Motiv diente der zwischen Salzburg und Berchtesgaden am Alpenrand gelegene Untersberg, der von dem Vorreiter der Münchner Schule Johann Georg von Dillis hier gleich zweimal im zeitlichem Abstand von mindestens 20 Jahren in Öl auf Papier festgehalten wird (Kat.-Nrn. 21, 22). Die früher entstandene Ansicht, betitelt Blick auf den Untersberg ist, wie viele der Landschaften von Dillis, nur auf den ersten Blick menschenleer. In die horizontale Bildmitte harmonisch ein-
35 34 gebettet, erblickt man auf einem Hügel ein Pärchen, das sich unter dem Baum niedergelassen hat – hier wird das Einssein mit der Natur zum Bildthema. Dillis Ölskizzen, die erst nach seinem Tod bekannt wurden, schuf er nicht zum Verkauf, da er sie nicht für vorzeigbar hielt.11 Dabei zeigt sich gerade in diesen der persönliche Blick des Künstlers auf die Landschaft: sei es in der Wahl des Ausschnitts mit dem zentralen Baummotiv, dessen Krone oben radikal abgeschnitten wird, oder in der Wahl einer besonderen Lichtstimmung, bei der Sonnenstrahlen einzelne Partien auf Laub und Feldern erhellen und zum Leuchten bringen. Oder im pointilistischen Farbauftrag, der einen flirrenden Gesamteindruck erzeugt. Diese Technik wandte Dillis auch beim Laubwerk der Ölstudie Eiche an und fing mit expressiv gesetzten Pinseltupfen das Licht- und Schattenspiel auf den Laubblättern ein (Kat.-Nr. 14). Gerade Münchener Künstler wie Dillis entdeckten die ästhetischen Qualitäten der nahen oberbayerischen Landschaft und des Voralpenlands für sich. Viele unternahmen von der Stadt aus Wanderungen und zeichneten en plein air. So auch Carl Morgenstern,12 der wie hier zu sehen den am Rand der Bayerischen Alpen gelegenen Kochelsee in einer Ölskizze festhielt (Kat.- Nr. 25). Dabei konzentrierte er sich auf die am Wasser gelegenen, ländlichen Bootshäuser, die sich auf der Oberfläche des klaren, ruhigen Gewässers spiegeln, und fing die Düsternis des wolkenverhangenen Himmels ein, der das ganze Blatt in eine grau-violette Lichtstimmung hüllt. Von Berchtesgaden aus nahmen viele Landschaftsmaler zu Fuß Kurs nach Osten in die Steiermark und passierten dadurch das Salzkammergut, das mit über 70 Seen und umliegenden Bergen ebenso eine große Motivvielfalt bot. Johann Heinrich Schilbach zeigt in seiner Ölstudie Gebirgsbach im Salzkammergut (Kat.-Nr. 24) im Hochformat allseitig angeschnitten – wie ein Blick durch eine Linse – einen Flusslauf, Berge und Bäume. Der gewählte Ausschnitt mit fein ausgearbeitetem Blattwerk, moosbewachsenen Steinen, saftigem Wiesengrün, gesplittertem Holz und dem Schattenspiel auf der Wasseroberfläche offerierte dem Künstler vielfältige Erprobungsmöglichkeiten der Naturwiedergabe. Im Nordosten der Steiermark liegt das Mürztal, in dem Erhard während seiner Zeit im nicht weit entfernten Wien 1816–1819 häufig wanderte. In einem extremen Querformat, einer Panoramaansicht, hält er in Blauschattierungen die markanten Bergformationen fest, davor erstrecken sich in Grün mit einzeln gesetzten braunen Farbakzenten Wiesen und Felder (Kat.-Nr. 19). Wie Perlen nebeneinander aufgereiht durchbrechen Bäume die Horizontale. Auch in der Steiermark entstanden, ist die Ölstudie Leopoldsteiner See von Thomas Ender (Kat.-Nr. 26). Der überwiegend durch unterirdische Quellen gespeiste See, der in die Nordalpen eingebettet liegt, wird von ihm in einem ungewöhnlichen Ausschnitt festgehalten: Ender fokussierte die geologischen Besonderheiten, die Gesteinsformationen, die sich muschelartig über dem spiegelnden türkisblauen Wasser auftürmen. Ein Band aus Bäumen durchschneidet die Bildmitte, der Hintergrund wird von einem Berg abgeschlossen, der luftperspektivisch in zarteren Tönen wiedergegeben ist. Die dadurch fast monochrom wahrgenommene Fläche des Berges hebt so zusätzlich den vorderen Bildteil hervor, der mit großer Brillanz erscheint. Ein Handgriff, der auch aus der Portraitphotographie geläufig ist, bei dem sich das mit dem Teleobjektiv fokussierte Modell von einem unscharfen Hintergrund abhebt.13 Genau darin liegt die Attraktivität der hier gezeigten Blätter: sie sind die »Vorboten der Moderne«,14 in denen die Künstler mit großem Gespür für den besonderen Schnappschuss den flüchtigen Natureindruck festhielten. Erst die Autonomie der Maler auf der Reise leitete diese Revolution des Landschaftsbilds ein. 1 Widmung und Erläuterung finden sich in späteren Druckfassungen in der Platte. 2 Heinrich Reinhold an seinen Bruder Gottfried, datiert vom 30. 9. bis 28. 10. 1818, zitiert nach: Schwarz 1927, S. 158. 3 Eine Zeichnung zeigt die Brüder Reinhold, die andere Welker und Erhard. Vgl. Höhn 1911, S. 172 f., Abb. 8, 9. 4 Zitiert nach: Schwarz 1927, S. 162 f. 5 Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. Gr-2008/670; vgl. Ausst.-Kat. Hamburg 2018, Abb. S. 49. 6 Zur Diskussion um die Identifizierung der Dargestellten vgl. Ausst.-Kat. Nürnberg 1996, S. 42. 7 Dass Erhard die Figurenportraits erst in der Radierung platzierte, wird deutlich in der zugrundeliegenden Zeichnung Die Ruine Starhemberg bei Wiener-Neustadt. Vgl. Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 1938-150. 8 Die Radierfolge ist vollständig abgebildet in: Frank 2017 a, S. 134–137. 9 Einen Überblick zu der Thematik Reisen und Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert liefert: Denk/Strobl 2017. 10 Vgl. hierzu dem Aufsatz von Alexander Bastek im vorliegenden Band. 11 Hardtwig 1991, S. 48 f. 12 Zu Carl Morgensterns in seinen Münchener Jahren entstandenen Landschaftsstudien vgl. Hennig 2011. 13 Zur Ölskizze als Vorstufe der Photographie vgl. Busch 1983, S. 130. 14 Denk 2023, S. 583.
39 38 15 Johann Christoph Erhard / 6 Ansichten aus den Umgebungen des Schneebergs (Titelblatt) / 1817
16 Johann Adam Klein / Die Maler auf der Reise / 1819
41 40 17 Johann Christoph Erhard / Der Alte vor dem Knüppelsteg / 1819
18 Johann Christoph Erhard / Der mit seinem Führer rastende Künstler. Erstes Blatt aus der Folge: Die Salzburger Landschaften mit den großen Figuren / 1819
Für die Landschaftsmalerei um 1800 galt noch immer die akademische Vorgabe, historische Landschaften zu malen. Das hieß, antike oder biblische Szenen zu illustrieren, für die eine idealisierte südliche, in der Regel italienische Landschaft als Kulisse beziehungsweise Bildraum diente. Für junge Kunststudenten war daher die Italienreise obligatorischer Teil der Ausbildung, galt es doch sowohl die antiken Bauwerke, die Kunstwerke der Renaissance als auch die südliche Landschaft, ihr Licht und ihre Atmosphäre zu studieren. Ende des 18. Jahrhunderts begannen die ersten Künstler auf ihren Studienausflügen in die Natur, die Landschaften und Naturphänomene nicht mehr nur zeichnerisch mit dem Bleistift festzuhalten, sondern in Öl einzufangen. Pioniere waren die Franzosen und sie nahmen sich diese künstlerischen Freiräume in Italien. Der wohl bedeutendste dieser Pioniere war der Historienmaler Pierre-Henri de Valenciennes, der von 1777 bis 1785 in Italien, vor allem in Rom, lebte und zwischen 1782 und 1784 erste kleine Ölstudien in der Natur anfertigte. So hielt er etwa den Wolkenhimmel über der römischen Campagna (Abb. 1) in Öl auf Papier fest und malte die eigentliche Landschaft nur ganz summarisch mit wenigen langgezogenen Pinselstrichen. Die Bilder, mit denen er in Ausstellungen an die Öffentlichkeit trat, zeigten aber nach wie vor im Atelier gefertigte historische Landschaften, die paysage historique. 1800 veröffentlichte er dann einen Traktat zur Perspektive und Landschaftsmalerei, in dem er das Malen in Öl in der Natur und das ganz unmittelbare Festhalten der Natureindrücke als Empfehlung für die Ausbildung junger Maler aussprach. Valenciennes hatte erkannt, dass »die Wirkungen der Natur fast nie dieselben zu denselben Augenblicken oder zu einer vergleichbaren Stunde sind.«1 Licht, Luftfeuchtigkeit – Valenciennes sprach von »Dampf in der Atmosphäre« – Wind, Regen, Höhe und Wolken beeinflussen das Erscheinungsbild der Landschaft. Der erste Ratschlag, den er für Landschaftsmaler daraus ableitete, lautete: Beschränkung. »Zuerst muss man sich darauf beschränken, lediglich die wesentlichen Töne der Natur in dem gewählten Eindruck so gut wie möglich zu kopieren. Man muß seine Studie mit dem Himmel beginnen, der den Ton der Gründe angibt […].«2 Der zweite Rat zielte auf die andere wesentliche Besonderheit der Ölstudienmalerei, die Geschwindigkeit: »Man ahnt sehr wohl, daß es, wenn man diesem Weg folgt, unmöglich ist, ausführlich und detailliert zu arbeiten, da jegliche Studie nach der Natur unerbittlich innerhalb eines Zeitraumes von maximal zwei Stunden gemacht sein muß. Und wenn es um den Effekt der aufgehenden oder untergehenden Sonne geht, darf man nicht mehr als eine halbe Stunde ansetzen.«3 Alexander Bastek Freiräume in der Landschaftsmalerei Die Ölstudie
59 58 Mit einer anderen Empfehlung scheint Valenciennes sogar das impressionistische Prinzip serieller Ansichten, wie es Claude Monet zum Ende des Jahrhunderts in die Kunstgeschichte einführte, vorweggenommen zu haben. »Es ist gut, dieselbe Ansicht zu unterschiedlichen Tageszeiten zu malen, um die Unterschiede zu beobachten, die das Licht auf den Formen bewirkt. Die Veränderungen sind derart wahrnehmbar und erstaunlich, daß man nur mit Mühe dieselben Gegenstände wiedererkennt.«4 Doch zielten Valenciennes’ Empfehlungen und auch seine eigene künstlerische Praxis weiterhin auf die klassische, idealisierte und im Atelier zu schaffende Landschaft ab. Die Landschaftstudien in Öl, in denen der unmittelbare Natureindruck fixiert war, dienten als Motivrepertoire: »[…] man bewahrt sie in der Zeichenmappe auf, um bei Bedarf nachzusehen.«5 Martin Schieder hat in seinen Betrachtungen zur paysage historique dargelegt, dass die »Symbiose von exakter Naturbeobachtung und malerischer Leichtigkeit« schon bei zeitgenössischen Kunstkennern Bewunderung auslöste. Der von Schieder zitierte Einwand des Kunstkritikers Louis de Bachaumont an Valenciennes’ Cicero entdeckt das Grab des Archimedes, sein Vollenden entspräche leider nicht der Erhabenheit seiner Entwürfe, verdeutlicht aber auch, dass die Ölstudie bereits um 1800 rezipiert und wertgeschätzt wurde.6 Erst den Malern der folgenden Generationen war es vorbehalten, die Unterscheidung zwischen Studie und vollwertigem Werk schrittweise zu überwinden. Unter den französischen Künstlern sind hier in erster Linie Jean-Baptiste Camille Corot und Théodore Rousseau zu nennen, die um 1830 im Dorf Barbizon im Wald von Fontainbleau mit ihrer Freilichtmalerei den Weg zum Impressionismus ebneten. Die Anfänge von Corots Ölstudienmalerei liegen aber ebenfalls in Italien, wo er ab 1825 drei Jahre verbrachte. Seine Landschaftsstudie Marino, 1826/27 (Kat.-Nr. 69) ist ein eindrückliches Beispiel für eine landschaftliche Gesamtansicht in Form einer skizzenhaften Ölstudie: In dem kleinen Ort in den Albaner Bergen südöstlich von Rom hielt Corot eine aus grünem Buschwerk emporwachsende Felsformation fest, auf der drei Repoussoirfiguren dem Betrachter den Blick in die Ferne, über die Hügel bis in die Ebene oder gar dem Meer vorgeben. Und über dem Ganzen ist der stimmungsvolle Himmel mit gelblichem Licht am Horizont und einem grauen Wolkenband darüber aufgespannt. Théodore Rousseau steigerte eine solche Wirkung im abendlichen Gegenlicht. Seine Abendlandschaft mit Baum und Teich (Kat.- Nr. 71), die er in der Gegend um Barbizon gefunden haben dürfte, ist in den erhabenen Stimmungswerten zugleich dramatisch und beruhigend. Abb. 1 Pierre-Henri de Valenciennes / Wolkenstudie über der römischen Campagna 1782/1785 / Öl auf Papier, auf Malpappe
Die deutschen Künstler taten sich im Gegensatz zu ihren französischen Kollegen anfangs schwer damit, die Ölfarben in der freien Natur einzusetzen. Häufig zitiert wurden die Lebenserinnerungen Ludwig Richters, in denen er die Gegensätze der deutschen und französischen Studienpraxis beschrieb. Die riesigen Malkästen, die sich die französischen Maler von italienischen Jungen durch die Landschaft tragen ließen, erschienen ihm auf den ersten Blick wie kleine Haustüren: »Die französischen Maler mit ihren Riesenkasten brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe, welche mit großen Borstpinseln halb fingersdick aufgesetzt wurde. Stets malten sie aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffect, oder wie wir sagten einen Knalleffect zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet; wir dagegen hielten es mehr mit dem Zeichnen als mit dem Malen. Der Bleistift konnte nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest und bestimmt zu umziehen. Gebückt saß ein Jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffecte wurden eher gemieden als gesucht; kurz, ein Jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objectiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben.«7 Wenn es um die Wahrheit, das Wesen – das Wesentliche – der Natur ging, schieden sich also die Geister. Die klassische oder gar klassizistische Auffassung verlangte, das Gesetzmäßige der Natur zu verstehen und die naturwissenschaftlichen Phänomene zu analysieren, um sie adäquat darzustellen. Aber gelang dies mit der Konzentration auf den einzelnen Grashalm oder mit dem Blick für die übergeordneten atmosphärischen Erscheinungen der Natur? In der Praxis entwickelte das unmittelbare Festhalten der Naturphänomene schließlich eine Eigendynamik, die wohl im besonderen ästhetischen Reiz der Ölstudie lag und sich in der einnehmenden Leichtigkeit der Darstellung äußerte. Die von Richter kritisch beäugten »Türrahmen« konnten die Franzosen erst schrittweise ersetzen. Kleine, gut tragbare Malkästen, teils mit Halterungen für Papiere oder Malpappen kamen auf den Markt. Und Anfang der 1840er-Jahre waren es dann die Ölfarben in Tuben, die das Malen in der Natur revolutionierten. Die technische Entwicklung brachte auch eine Annäherung der vermeintlichen Gegensätze. Beides war in der Ölstudienmalerei möglich: Ausblicke, Detailansichten, mit grobem Pinsel breit aufgetragene Landschaftsgründe oder mit feinem Pinsel gemalte Maschen eines Fischernetzes, wie in Ludwig von Löffzts Studie (Kat.-Nr. 28). Für Ludwig Richters Schüler Albert Venus sollte die Ölstudie dann übrigens zum selbstverständlichen Medium der Landschaftsmalerei werden. In seiner Skizze Campagna (Kat.- Nr. 50) hält er genau den »Totaleffect« einer Landschaft fest, den sein Lehrer noch abgelehnt hatte: eine abwechselnd hell und dunkel erscheinende hügelige Ebene, über der im Hintergrund eine Bergkette geradezu herausleuchtet. So setzte sich das Malen in Öl in der Natur schrittweise europaweit durch und bot den Malern die Möglichkeit neuer motivischer und thematischer Freiräume. Italien blieb als »Land des Lichts« zunächst der bevorzugte Ort, um Ölstudien zu malen. Und neben den traditionellen Reisezielen wurden auch neue Orte für die Kunst entdeckt. Im östlich von Rom gelegenen Bergdorf Olevano skizzierte Florian Grospietsch 1821 den Blick auf den Monte Serone und die Monti Ernici (Kat.-Nr. 51). Die grauweißen Wolken sorgen in der darunterliegenden Landschaft für rhythmische Lichtwechsel, die Grospietsch mit dunklen Bergspitzen, lichtbeschienenen Hängen sowie hell- und dunkelgrünen Wiesenhügeln einfing. Heinrich Bürkel fixierte in seiner Italienischen Landschaft (Kat.-Nr. 33) – es dürfte sich ebenfalls um die Campagna bei Rom handeln – die Kontraste von Grün- und Rottönen, die auch hier in der abendlichen Sonne in Erscheinung traten. Zudem ist seine Ölstudie an den Rändern unbemalt geblieben – eine typische Spielart der studienhaften Landschaftserfassung, deren besonderer ästhetischer Reiz oft gerade im Unvollendeten liegt. Bei Bürkel finden wir noch ein anderes in der Ölstudienmalerei immer wieder zu entdeckendes Motiv: das Spiel mit Nah- und Fernsicht. Die Römischen Ruinen (Kat.-Nr. 41) boten dem Maler die Möglichkeit, die Reste eines antiken Bauwerks nahsichtig in ihren malerischen Details zu studieren. Der helle Sandstein, die Bögen und Brüche der Architektur und das Grün der darauf wachsenden Büsche und Bäumchen gaben ein wunderbar malerisches Motiv. Im Vordergrund ist es gerade umgekehrt und aus dem üppigen
61 60 Bewuchs stechen ein paar Fragmente von Säulen und Konsolen hervor. Der Ausblick in die Weite und Tiefe der Landschaft – in vielen Landschaftsbildern der eigentliche Haupteffekt – ist hier auf einen kleinen Durchblick durch die Rundbögen reduziert. Auch in seiner Ölstudie Aufgang zum Parktor des Palazzo Chigi, Ariccia (Kat.-Nr. 64) erhob Bürkel den eigentlich verstellten Blick in die Landschaft zum Motiv. Dicht bewachsene Felsen, emporstrebende Bäume und die in den Fels geschlagene Treppe sind ganz nah gezeigt. Der Blick folgt dem Weg hinauf zum Tor, über und neben dem sich nur kleine Durchblicke auf den blauen Himmel öffnen. Der Anstieg zum Palazzo ist hier auf einen Helldunkel-Kontrast zugespitzt. Die Studie der Grün- und Gelbtöne, die das in die Bäume fallende Licht erzeugt, war nur in Öl möglich. Den weit in die bergige Landschaft um die Villa Chigi reichenden Park hatte 1787 schon Goethe auf seiner Italienreise festgehalten, allerdings als Aquarell und in einer klassischen Motivreihung, die von den Bäumen links im Vordergrund über das Tor im Mittelgrund bis zum Ausblick auf die oben am Berg sichtbare Villa führt (Abb. 2). Im Vergleich mit Bürkels Bild wird deutlich, dass erst die in der Natur gefertigte Ölstudie die Farbintensität der Landschaft adäquat wiederzugeben vermochte. Zurückgekehrt aus Italien entdeckten die Maler zunehmend auch die heimischen Landschaften und die Malorte vor der Tür. Johann Georg von Dillis erkundet die Umgebung Münchens und das Voralpenland und malte flotte Landschaftsbilder in kleinem Format in der Landschaft, wie den Untersberg von Salzburg aus (Kat.-Nr. 22) oder auf größerer Leinwand im Atelier (Kat.-Nr. 21). Stets aber hatte er den gefühlsmäßig erfassten, eher unspektakulären Landschaftsausschnitt im Blick und löste sich damit vom Gebot der klassischen Ideallandschaft. Carl Blechen studierte die Landschaften Berlins und Brandenburgs und hielt Wege, Bäume und Weiher in nun leuchtenden Ölfarben fest. Dabei brach er durchaus auch mit dem konventionellen Bildformat, wenn das einzufangende Stück Natur ihn deutlich in die Breite zwang, wie in der spektakulären Ansicht eines Kornfelds (Kat.-Nr. 5). Eigentlich nicht bildwürdige Details wurden nun mit Pinsel und Ölfarben erfasst, um solche Teilstücke der Natur in spätere Ateliergemälde möglichst naturgetreu einfügen zu Abb. 2 Johann Wolfgang Goethe / Eingang zum Park der Villa Chigi 1787 / Feder in Grau, blau aquarelliert, auf Papier, auf Karton
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