Leseprobe

11 10 ihre Wege aus dem 18. und weiter ins spätere 19. Jahrhundert. Es geht ihr um das kleine Format, den subjektiven Blick, neue Techniken wie die Ölskizze, doch birgt sie auch Zeichnungen, Druckgraphiken und Gemälde. In vielfältiger Weise und großer Komplexität, die nicht allein bei den bekannten Namen verbleibt, macht sie den Aufbruch-Charakter einer Künstlergeneration sichtbar, die sich ihre Freiräume entschlossen und mit spürbarer Frische eroberte – neue Räume in geographischer, sozialer, technischer und motivischer Hinsicht. Diese möchten die Ausstellung und der Katalog vorstellen. Der Freiraum der Technik Ob die hier präsentierten Künstler eine Akademie besuchten oder in einem Atelier lernten: Zielpunkt der Ausbildung war das Erlernen der Ölmalerei. Das offizielle, vollendete Bild entstand in Öl auf Leinwand. Die Zeichnung galt nur selten als autonomes Werk, das Zeichnen gleichwohl als Grundlage jeglicher künstlerischer Arbeit. In der schnellen Verbindung von Auge und Hand erfasst die Zeichnung zuerst das Motiv, legt die Komposition fest, eine Haltung, ein Detail. Abgeschlossen war das Werk durch die Überführung in die Ölmalerei. Diese klassischen Gemälde finden sich auch in der Sammlung Stephan: Da ist die Darstellung eines Blickes aus dem Fenster auf Dresden (Kat.-Nr. 1), in der Traugott Faber sorgfältig mit Licht und Schatten operierte und die Nähe des privaten Raumes mit dem Weitblick in die Landschaft kombinierte, da unterstrich Oswald Achenbach im Hochformat den tief herabstürzenden Wasserfall (Kat.-Nr. 56), oder Carl Wagner blickte weit über das blaue Elbtal, wobei er in den Vordergrund ganz bewährt einen Baum und eine Staffagefigur einfügte (Kat.-Nr. 11). Auch das klassische Ölbild kann atmosphärisch sein und einen privaten Blick zeigen. Zugleich jedoch passiert zweierlei: Zum einen wird mit der Kombination von Öl auf Leinwand auch das Festhalten eines schnell vergänglichen Eindrucks erprobt, etwa von Camille Corot, der in Marino mit skizzenhaftem Duktus eine Landschaft zur Studie einer abendlichen Atmosphäre machte (Kat.-Nr. 69). Zum anderen experimentierten Künstler individuell mit Öl auf Papier, auf Karton, auf Malpappe, zuweilen verstärkt durch Holz oder Leinwand. Die Varianten sind zahlreich, wie die Techniken der ausgestellten Werke zeigen. Die Ölmalerei, bislang angewiesen auf Atelier, Staffelei und Zeit, wurde dem Wunsch der Künstler untergeordnet, an anderem Ort andere Motive aus anderer Perspektive festzuhalten – und das in Farbe. Dies brauchte das kleine Format. Angepinnt an den Malkasten konnten Papier, Leinwand oder Pappe auch außerhalb des Ateliers bearbeitet werden,2 und mit Techniken wie Ölskizze, Aquarell und Zeichnung ergaben sich Experimentierfelder des schnellen Arbeitens. Diese Bilder waren nicht mehr allein Vorstudien für andere Werke, galten aber gleichzeitig auch noch nicht als autonome Werke.3 Eben in dieser Uneindeutigkeit gewährten die vormals rein vorbereitenden Techniken nun Freiräume für neue Perspektiven und Anliegen. Dies wird in der Sammlung Stephan direkt sichtbar. Zurückhaltend im Format, zart in der Materialität, wenig auf ein großes Publikum abzielend, ist diesen Werken eine Unmittelbarkeit zu eigen, die sich bis heute nicht abgenutzt hat. Diese Techniken eröffneten auch funktional einen weiten Horizont: Die kleingewachsenen Birken, die Thomas Fearnley in seiner norwegischen Heimat in Öl festhielt (Kat.-Nr. 4), konnten noch als Motivvorrat dienen. Die Häuserfront, die Joseph Thürmer in Italien auf sein Blatt setzte, ist hingegen von so großer atmosphärischer Geschlossenheit und überlegter Komposition, dass sie trotz des schnellen, flüssigen Pinselstrichs, des durchscheinenden Grundes und der unterschiedlich detaillierten Ausarbeitung fraglos bildhaften Charakter hat (Kat.-Nr. 36). Der Freiraum der Orte Der Gegensatz von Akademie einerseits und freier Kunst außerhalb der Institution andererseits ist verkürzt und trifft doch um 1800 eine zeittypische Haltung. Tatsächlich war die akademische Ausbildung genormt, das Curriculum gesetzt. Doch nicht nur außerhalb von Akademien eroberten sich die Künstler Freiräume, manchmal nahmen diese auch gerade hier ihren Ausgang. Die ersehnte Reise nach Italien traten viele Künstler mit dem Rom-­ Stipendium einer Akademie an. Meist auf ein Jahr beschränkt, war diese Erfahrung oft prägend und das Gefühl von Freiheit groß. Unterhielt die Französische Akademie seit 1803 eine Dependance in Rom, so waren die Künstler aus Berlin, Düsseldorf oder Kopenhagen darauf angewiesen sich eigene Räume zu suchen und fanden diese in der Natur. Hier trafen sie etwa die französischen Kollegen, die auch nicht in den Akademieräumen blieben.4 Wichtiger als das Kopieren von Antiken wurde das Zeichnen

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