Leseprobe

und Malen in der Campagna, in Bergorten wie Olevano, Civitella oder an den südlichen Küsten.5 Aber auch in Rom konnte ein kleines Verschieben der Perspektive neue Räume vorstellen: Fearnleys Blick ins Forum Romanum (Kat.-Nr. 42) verbindet die Säulen des Dioskurentempels selbstverständlich mit Staub, Sand und Ochsenkarren und so die Antike mit der Gegenwart. Andere Räume eroberte sich 1809 in Wien eine Gruppe von Studenten, die sich im Lukasbund zusammenfand. Der Kreis um Friedrich Overbeck und Franz Pforr stand in Opposition zur Akademie, deren Ausbildungsweise, ästhetische Vorgaben und inhaltliche Ausrichtung sie ablehnten. 1810 ließen sich die Gründungsmitglieder in Rom nieder, wo sie zunächst gemeinschaftlich im aufgelassenen Kloster San Isidoro lebten. Die später Nazarener genannten Künstler hielten durchaus an klassischen Methoden fest. Das regelmäßige Aktzeichnen besuchten auch andere Künstler in Rom und der feine Zeichenstil wurde in gemeinsamen Sitzungen geübt. Einzelne Requisiten wie ein großer Mantel finden sich so in mehreren ihrer Zeichnungen wieder (Kat.-Nr. 98).6 Ein Freiraum muss nicht außerhalb des Ateliers liegen, nur muss er selbstbestimmt sein. Neben Italien wurden auch Orte bildwürdig, die bislang nur wenige Künstler besucht hatten. Die wilde, unberührte Natur Norwegens mit ihren Fjorden und Felsen hielten nicht nur Clausen Dahl und Fearnley fest, die hier beheimatet waren, sondern auch die Hamburger Künstler Christian Morgenstern und Louis Gurlitt (Kat.-Nrn. 2, 3). Von München aus wanderten junge Kunststudenten an die Seen im Umland und in die Berge, um draußen zu arbeiten.7 In Frankreich schließlich führte die lange Tradition der Freilichtmalerei, die durchaus in italienischen Erfahrungen wurzelt, schließlich zu einem grundlegenden Wandel des Genres. Der Wald von Fontainbleau und das Dorf Barbizon, in dem Camille Corot, Théodore Rousseau oder Théodore Caruelle d’Aligny malten, sind bis heute Namensgeber einer neuen Ausrichtung der Landschaftskunst. So malerisch uns diese Gegenden heute erscheinen, zeitgenössisch galten sie als bildunwürdig. Doch langsam veränderten die neuen Bilder auch die Wahrnehmung der Betrachtenden und die bevorzugten Räume der Künstler interessierten zunehmend ein größeres Publikum. 1849 stellte Rousseau im Pariser Salon aus und fand in den 1850er-Jahren große, allgemeine Anerkennung. Der Freiraum der Motive Eng verbunden mit der Technik und den Orten sind die Motive. Jenseits von großen Auftragswerken oder Gemälden für Akademieausstellungen berichten viele Werke der Sammlung Stephan von dem, was die Künstler täglich vor Augen hatten, was sie miteinander, direkt vor Ort zeichneten und malten und welche Motive sie reizten. Zuweilen tritt das Motiv im klassischen Sinne, als Abbild eines Objektes oder Geschehens in den Hintergrund und liefert eher den Anlass für die Darstellung einer Stimmung oder einer Lichtsituation. Dann wirkt es, als nähme der Künstler nicht nur einen optischen Eindruck in das Bild auf, sondern auch eine Luftbeschaffenheit, ein Rauschen, eine Kühle. Dies zeigt sich in den Darstellungen von Wetterphänomenen, Regen oder Wolken, die die Sammlung in großer Bandbreite bewahrt. Adolf Henning hielt in Tivoli, diesem ikonischen Ort der Kunstgeschichte, keinen Tempel und keine Villa fest, sondern das leuchtende Farbspiel des sich schnell ändernden Abendhimmels (Kat.-Nr. 47). An die berühmten Zypressen erinnern nur die dunklen Baumsilhouetten, die im Gegenlicht vor dem Himmel stehen. Johan Christian Dahl schaute nach oben und skizzierte die flüchtigen Wolken (Kat.-Nr. 102). Heinrich Reinhold bewahrte das transparente Grün einer sich brechenden Welle (Kat.-Nr. 79) und Carl Blechen das Goldgelb eines Kornfeldes (Kat.-Nr. 5), das als weiter Blick im extremen Querformat leuchtet, als passe sich das Format der Augenbewegung des Malers an. Vier Blicke in die Welt, jeder aus dezidiert persönlicher Perspektive und jeder von großer malerischer Qualität. Neben dem Vergänglichen ist es das Nebensächliche, Kleine, das sich in der Sammlung Stephan in besonderer Weise findet. Da ist der fokussierte Blick auf ein Objekt wie das zum Trocknen aufgehängte Fischernetz, das Ludwig von Löffzt wiedergab (Kat.-Nr. 28). In dem kleinen Bachlauf, den wohl Eduard Wilhelm Pose in einer Ölskizze festhielt, berücksichtigte der Maler im Grunde die klassischen Vorgaben eines Landschaftsbildes: verschiedene Bildgründe, Stein, Wasser und Pflanzen (Kat.- Nr. 23). Doch galt das Motiv des Unterholzes und des Wassers in seinen verschiedenen Zuständen: fließend, stehend, strudelnd noch nicht als bildwürdig. Geradezu kühn erscheint in diesem Kontext der Däne Petzholdt, der vom berühmten Pompeji allein einen Hügel im Dunst zeigte, blau-grün changierend, vom vor-

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