Nina Sonntag Die Natur als Akademieraum Vier junge Männer postieren sich auf einer Anhöhe, am Horizont hinter ihnen erheben sich partiell in Nebelschwaden verschwindende Gebirgszüge, rechts auf einem Berg thronen eine Dorfkirche und vereinzelte Häuser (Kat.-Nr. 16). Das Reisegepäck, das die vier bei sich tragen – Reisestaffelei, Malschirm, Malkasten, Papierrollen, Zeichenmappen – kennzeichnet die Gruppe als Künstler. Während sich drei einander zugewandt und stehend unterhalten, ist der zweite von rechts etwas von der Gruppe separiert. Er sitzt auf einem Feldhocker, hat eine handliche Staffelei zwischen die Beine geklemmt und ist ins Zeichnen vertieft. Er scheint von dem Gespräch der anderen nichts mitzubekommen, seine Aufmerksamkeit gilt dem Zeichnen: Es nimmt ihn vollkommen ein. Die von Johann Adam Klein stammende Radierung Die Maler auf der Reise ist, wie die rückseitige Beschriftung verrät, »Meinen Reisegefährten gewidmet. diese waren nemlich: die Brüder Heinrich u Phil. Reinhold, dann J. Chr. Erhard und E. Welker. […]«, also die Brüder Heinrich und Friedrich Philipp Reinhold, Johann Christoph Erhard und Ernst Welker.1 An der im August 1818 zu Fuß unternommenen gemeinsame Reise über Salzburg nach Berchtesgaden lässt uns einer der Begleiter Kleins, Heinrich Reinhold, teilhaben, der in einem an seinen Bruder Gottfried verfassten Brief eingehend die eindrucksvolle Landschaft beschrieb, die die fünf umfing, und resümierte begeistert: »O hörst Du, welch herrlichen Genuß hat uns diese Reise verschafft! welch einen Gewinnst für den Künstler an Geist und Körper! […] Ich kann keck behaupten: es giebt in Deutschland wenigstens, keinen schönern Aufenthalt als Salzburg und die umliegende Gegend, Berchtesgaden mit einbegriffen, das Ländchen, was, beynahe buchstäblich genommen, höher als breit ist.«2 Die Wanderung durch die Berchtesgadener Alpen war für die Freunde nachhaltig prägend und ein Doppelgewinn – eine körperliche wie geistige Erfahrung. Das den Freunden und Reisebegleitern gewidmete Blatt wird nicht nur zum Symbol einer innigen Verbundenheit, sondern zeugt auch von einem neuen Selbstbewusstsein der Künstler. Die Reise selbst wird zum Bildthema und nicht nur bildwürdig, sondern druckfähig. Ein zur Vervielfältigung bestimmtes Blatt verbreitet die Botschaft einer neuen Haltung: Künstler, die sich selbstbestimmt, frei und ungezwungen in der Landschaft bewegen. Klein, der seine Radierung im heimischen Atelier 1819 aus zwei einzelnen, auf der Wanderung entstandenen Zeichnungen seiner Freunde komponierte,3 verwandelte auf diese Weise die authentischen, »O hörst Du, welch herrlichen Genuß hat uns diese Reise verschafft!« Vom Wandern und Zeichnen
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