Leseprobe

33 32 unmittelbaren Reiseskizzen seiner Freunde zu einem Idealbild. Er objektivierte den vollkommenen Moment einer subjektiven Erfahrung, des autonomen Zeichnens und lehrreichen Erkenntnisgewinns durch Erfahrungsaustausch inmitten der Natur. Dahinter setzte er gekonnt den wiedererkennbaren Watzmann in Szene: In dem Blatt erhält die Reise Denkmalstatus. In Reinholds Bericht wird ebenso deutlich, dass die Natur für die Freunde zugleich Atelier- und Akademieraum wurde. Da es mehrere Tage ununterbrochen regnete, mussten die Freunde zwischenzeitig in ein Wirtshaus flüchten: »Zum Glück war das Wirtshaus sehr gut und billig, wir waren unsrer 5 auf einem Zimmer, und trieben tausend Streiche und Schnaken, hielten Akademie, zeichneten einander, oder Kostüme usw., wurde es ein wenig hell, gleich hinaus um etwas zu zeichnen, doch konnte wenig geschehen.«4 Mit größter Souveränität erklärte Reinhold, dass Akademie nun überall stattfinden kann – es braucht kein fest verortetes Gebäude mehr. Zeichnen, Fortbilden und Schulen der eigenen Wahrnehmung fand in einem ungezwungenen, freundschaftlichen Rahmen und in Freiheit statt – fern von den Zwängen eines institutionellen Gefüges. Die neue Selbstverständlichkeit, in der Maler ab sofort »Akademie« verstanden, zeigt sich auch in einer Zeichnung von Friedrich Philipp Reinhold, die auf derselben Reise am 20. August 1818 in Berchtesgaden entstand. Auf dem Blatt ist sein Bruder Heinrich Reinhold mit demselben Malerschirm und in ähnlicher Haltung wie in Kleins Druckgraphik zu sehen, daneben steht Klein über ein Blatt Papier gebeugt und zeichnet. Oben links notierte Reinhold auf dem Blatt: »Des abscheulichen Wetters wegen, was uns einsperrte, hatten wir eine Akademie eingerichtet.«5 Auch Kleins Reisegefährte Johann Christoph Erhard thematisierte den Reisenden, der zum illustrierten und reflektierten Objekt seiner eigenen Beobachtung wird. Werden bei Klein die Freunde bildfüllend portraitiert, fügte Erhard sich selbst und zwei seiner Mitreisenden auf dem Titelblatt In den Ruinen von Stahremberg für seine Radierfolge 6 Ansichten aus den Umgebungen des Schneebergs miniaturhaft in eine Ruinenlandschaft ein (Kat.-Nr. 15). Dargestellt sind – von links nach rechts – wohl Heinrich Reinhold in Rückenansicht, daneben Johann Christoph Erhard und Ernst Welker.6 Die drei Maler funktionieren zwar als Staffagefiguren der Architekturumgebung, sind aber doch so portraithaft und zentral unter dem Titel der Serie ausgerichtet, dass sie nicht Beiwerk sind, sondern die Druckfolge zu einem Dokument der persönlichen Erinnerung erheben.7 Die Natur und das Ich Neben dem Verhältnis der Personen untereinander wird von Erhard auch das Verhältnis von Natur und Mensch ins Bild gesetzt. Deutlich wird dies in zwei Radierungen der vierteiligen Folge Die Salzburger Landschaften mit den großen Figuren aus dem Jahr 1819, die er nach vor Ort anfertigten Zeichnungen ausführte.8 Das erste Blatt, Der mit seinem Führer rastende Künstler, zeigt im Vordergrund einen Künstler, der sich mit seinem Reiseführer am Wegesrand niedergelassen hat (Kat.-Nr. 18). In Rückenansicht und in lässiger Haltung dargestellt, hat er den Arm zu einer ausladenden Geste erhoben. Ihm gegenüber sitzt ein älterer Mann mit hohem Hut, den Wanderstock beidhändig fest umschlossen und dem Künstler lauschend. Erhards Blatt ist ein Idealbild, es geht um die Aneignung der Natur durch den Menschen. Die Polarität zeigt sich im Gegensatz von betagterem Landmenschen und jungem Stadtmenschen. Letzterer eignet sich die Landschaft mit vollem Körpereinsatz an, okkupiert mit Mantel, Hut und Zeichenmappe neben sich das Gras, arglos beiseite geworfen liegt auf dem Weg sein Wanderstock. Ihm gegenüber hat sich der Alte vorsichtig und aufrecht ins Gras gesetzt, seinen Rucksack platziert er vorsichtig neben sich am Wegesrand. Beidseitig des großen Baumes in der Bildmitte ergeben sich Ausblicke in die Tiefe, die die Polarität aufgreifen und verstärken: Rechts, dem alten Mann zur Seite gestellt, wandert auf dem Weg in der Ferne ein Hirte mit Vieh und links neben dem Baum, oberhalb des Künstlers, hat sich ein Mann inmitten der Landschaft an einen Stamm gelehnt niedergelassen. Die konträre Form der Naturaneignung findet im Bild eine formale Entsprechung in der durch den Baum vorgegebenen Trennung, von dem aus sich Blicke in beide Welten offenbaren. Das Besondere an dem vorliegenden frühen Abzug ist der (in späteren Abzügen abgetrennte) linke Randstreifen. Das schmale Band zeigt im Panoramaausschnitt eine zweite, um 90 Grad gedrehte Landschaft. Rechts auf einem Weg wandert ein Reisender mit Hut, Rucksack und Stock, dem sich links die ganze Weite und Vielfalt der Natur eröffnet: Wälder, Wiesen, Felder, Felsen, Gebirge und ganz links ein Flusslauf mit Weidevieh. Erhards breitformatige Ansicht steigert den überwältigenden

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1