35 34 gebettet, erblickt man auf einem Hügel ein Pärchen, das sich unter dem Baum niedergelassen hat – hier wird das Einssein mit der Natur zum Bildthema. Dillis Ölskizzen, die erst nach seinem Tod bekannt wurden, schuf er nicht zum Verkauf, da er sie nicht für vorzeigbar hielt.11 Dabei zeigt sich gerade in diesen der persönliche Blick des Künstlers auf die Landschaft: sei es in der Wahl des Ausschnitts mit dem zentralen Baummotiv, dessen Krone oben radikal abgeschnitten wird, oder in der Wahl einer besonderen Lichtstimmung, bei der Sonnenstrahlen einzelne Partien auf Laub und Feldern erhellen und zum Leuchten bringen. Oder im pointilistischen Farbauftrag, der einen flirrenden Gesamteindruck erzeugt. Diese Technik wandte Dillis auch beim Laubwerk der Ölstudie Eiche an und fing mit expressiv gesetzten Pinseltupfen das Licht- und Schattenspiel auf den Laubblättern ein (Kat.-Nr. 14). Gerade Münchener Künstler wie Dillis entdeckten die ästhetischen Qualitäten der nahen oberbayerischen Landschaft und des Voralpenlands für sich. Viele unternahmen von der Stadt aus Wanderungen und zeichneten en plein air. So auch Carl Morgenstern,12 der wie hier zu sehen den am Rand der Bayerischen Alpen gelegenen Kochelsee in einer Ölskizze festhielt (Kat.- Nr. 25). Dabei konzentrierte er sich auf die am Wasser gelegenen, ländlichen Bootshäuser, die sich auf der Oberfläche des klaren, ruhigen Gewässers spiegeln, und fing die Düsternis des wolkenverhangenen Himmels ein, der das ganze Blatt in eine grau-violette Lichtstimmung hüllt. Von Berchtesgaden aus nahmen viele Landschaftsmaler zu Fuß Kurs nach Osten in die Steiermark und passierten dadurch das Salzkammergut, das mit über 70 Seen und umliegenden Bergen ebenso eine große Motivvielfalt bot. Johann Heinrich Schilbach zeigt in seiner Ölstudie Gebirgsbach im Salzkammergut (Kat.-Nr. 24) im Hochformat allseitig angeschnitten – wie ein Blick durch eine Linse – einen Flusslauf, Berge und Bäume. Der gewählte Ausschnitt mit fein ausgearbeitetem Blattwerk, moosbewachsenen Steinen, saftigem Wiesengrün, gesplittertem Holz und dem Schattenspiel auf der Wasseroberfläche offerierte dem Künstler vielfältige Erprobungsmöglichkeiten der Naturwiedergabe. Im Nordosten der Steiermark liegt das Mürztal, in dem Erhard während seiner Zeit im nicht weit entfernten Wien 1816–1819 häufig wanderte. In einem extremen Querformat, einer Panoramaansicht, hält er in Blauschattierungen die markanten Bergformationen fest, davor erstrecken sich in Grün mit einzeln gesetzten braunen Farbakzenten Wiesen und Felder (Kat.-Nr. 19). Wie Perlen nebeneinander aufgereiht durchbrechen Bäume die Horizontale. Auch in der Steiermark entstanden, ist die Ölstudie Leopoldsteiner See von Thomas Ender (Kat.-Nr. 26). Der überwiegend durch unterirdische Quellen gespeiste See, der in die Nordalpen eingebettet liegt, wird von ihm in einem ungewöhnlichen Ausschnitt festgehalten: Ender fokussierte die geologischen Besonderheiten, die Gesteinsformationen, die sich muschelartig über dem spiegelnden türkisblauen Wasser auftürmen. Ein Band aus Bäumen durchschneidet die Bildmitte, der Hintergrund wird von einem Berg abgeschlossen, der luftperspektivisch in zarteren Tönen wiedergegeben ist. Die dadurch fast monochrom wahrgenommene Fläche des Berges hebt so zusätzlich den vorderen Bildteil hervor, der mit großer Brillanz erscheint. Ein Handgriff, der auch aus der Portraitphotographie geläufig ist, bei dem sich das mit dem Teleobjektiv fokussierte Modell von einem unscharfen Hintergrund abhebt.13 Genau darin liegt die Attraktivität der hier gezeigten Blätter: sie sind die »Vorboten der Moderne«,14 in denen die Künstler mit großem Gespür für den besonderen Schnappschuss den flüchtigen Natureindruck festhielten. Erst die Autonomie der Maler auf der Reise leitete diese Revolution des Landschaftsbilds ein. 1 Widmung und Erläuterung finden sich in späteren Druckfassungen in der Platte. 2 Heinrich Reinhold an seinen Bruder Gottfried, datiert vom 30. 9. bis 28. 10. 1818, zitiert nach: Schwarz 1927, S. 158. 3 Eine Zeichnung zeigt die Brüder Reinhold, die andere Welker und Erhard. Vgl. Höhn 1911, S. 172 f., Abb. 8, 9. 4 Zitiert nach: Schwarz 1927, S. 162 f. 5 Klassik Stiftung Weimar, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. Gr-2008/670; vgl. Ausst.-Kat. Hamburg 2018, Abb. S. 49. 6 Zur Diskussion um die Identifizierung der Dargestellten vgl. Ausst.-Kat. Nürnberg 1996, S. 42. 7 Dass Erhard die Figurenportraits erst in der Radierung platzierte, wird deutlich in der zugrundeliegenden Zeichnung Die Ruine Starhemberg bei Wiener-Neustadt. Vgl. Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 1938-150. 8 Die Radierfolge ist vollständig abgebildet in: Frank 2017 a, S. 134–137. 9 Einen Überblick zu der Thematik Reisen und Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert liefert: Denk/Strobl 2017. 10 Vgl. hierzu dem Aufsatz von Alexander Bastek im vorliegenden Band. 11 Hardtwig 1991, S. 48 f. 12 Zu Carl Morgensterns in seinen Münchener Jahren entstandenen Landschaftsstudien vgl. Hennig 2011. 13 Zur Ölskizze als Vorstufe der Photographie vgl. Busch 1983, S. 130. 14 Denk 2023, S. 583.
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